Wir schreiben den 27. Juni 2017, als die Welt-Gesundheits-Organisation (WHO) ein bedeutendes Statement für die Cannabis-Welt veröffentlicht: Es sei erweisen, dass „die seit 1961 im Strafrecht verankerte Drogenpolitik mehr Schaden als Nutzen erbracht hat“( Quelle). Alle Mitgliedsstaaten werden freundlichst darauf hingewiesen, neue Wege in der Drogenpolitik zu gehen. Das Statement wurde auch von den Vereinten Nationen (UN) mitgezeichnet.
Und dann schreiben wir den 14. Dezember 2017, knapp sechs Monate nach Veröffentlichung der Empfehlung der UN und WHO. Wie der Pressemitteilung zu entnehmen ist, möchte unsere Bundesdrogenbeauftragte Marlene Mortler die Prävention in Bezug auf Cannabis flächendeckend ausbauen. Zitat Frau Mortler: „Keine andere illegale Droge ist so weit verbreitet und keine andere führt so viele Menschen in ambulante und stationäre Therapieangebote. […] Ganz klar ist auch, dass die Versorgung suchtkranker Menschen in und nach der Haft besser werden muss und wir mehr gegen die Stigmatisierung suchtkranker Menschen tun müssen. Sucht ist eine Krankheit und als solche müssen wir sie behandeln.“
Na toll! Damit hat unsere Verantwortliche im Bundestag mal wieder bewiesen, mit welchen dreckigen Mitteln sie der deutschen Bevölkerung die Gefährlichkeit einer Pflanze einflößt. Wobei ich ganz klar sagen muss, dass Cannabis-Konsum bei Jugendlichen bis 21 Jahre tatsächlich schlecht für eine normale Entwicklung ist und bleibende Schäden hinterlassen kann. Jugendschutz sollte also auf jeden Fall eine große Rolle in jeder Drogen-Politik spielen, keine Frage. Aber dazu später mehr.
Fadenscheinige Argumentation von Marlene Mortler
Marlene Mortler beruft sich in ihrer Argumentation auf die vielen Konsumenten, die sich in ambulante oder stationäre Therapie begeben. Damit wird dem normalen Bürger, der nicht regelmäßig auf Cannabis-Rausch.de surft, suggeriert, dass viele Konsumenten ein ernsthaftes Problem mit Cannabis haben. Im offiziellen Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung vom 18. August 2017 ist die Rede von 3,11 Millionen Menschen, die in einem Zeitraum von 12 Monaten Cannabis konsumiert haben. Dabei sollen 612.000 Menschen einen klinisch relevanten Konsum aufgezeigt haben. Da Du jetzt natürlich genauso wie ich vorm Bildschirm sitzt und keine Ahnung hast, nach welchen Kriterien ein Konsument ein klinisch relevantes Konsummuster aufzeigt, habe ich das mal recherchiert. Der Drogenbericht greift die Severety of Dependence Scale (SDS) auf. Bild:
Bei sechs oder mehr Punkten ergibt sich ein Verdacht auf Abhängigkeit (Quelle). Dabei handelt es sich jedoch lediglich um subjektiv und eigenbestimmt zu bestimmende Punkte. Das ist deshalb interessant, weil es in Deutschland nach §35 BtMG möglich ist, statt einer Freiheitsstrafe einen Entzug anzutreten. Dabei kann sich ein Beschuldigter Bewährungschancen erarbeiten und so das Strafmaß drücken. Ich bin mir sicher, dass viele Beschuldigte sich aus rationalen Gründen als abhängig einstufen (lassen), um sich ihre Chancen für die Zukunft nicht all zu sehr zu verbauen. Besser einen geregelten Entzug durchführen lassen und schneller wieder frei und handlungsfähig sein, als ewig in einer Zelle zu sitzen.
BtMG-Fachanwalt Dr. Gau bestätigte mir, dass tatsächlich viele seiner Mandanten die Option auf Therapie wahrnehmen. Wie viele davon wirklich einen schädlichen Konsum vorweisen, konnte er mir natürlich nicht sagen.
Eine Anfrage bei der Bundesdrogenbeauftragten bezüglich der Prozentzahl von „BtMG-Verbrechern“ an allen therapierten Cannabis-Konsumenten ist bis jetzt unbeantwortet. Nach Erhalt der Antwort wird dieser Absatz sofort ergänzt.
Deshalb sehe ich Frau Mortlers Argumentation als Teufelskreis. Denn erst drückt das Gesetz Betroffene in einen ambulanten Entzug und dann wird mit diesen Zahlen jongliert, um zu zeigen, wie viele Konsumenten ein schwerwiegendes Problem durch ihren Cannabis-Konsum haben. Begründung: Viele Konsumenten würden in „ambulante und stationäre Therapieangebote“ geführt. Ist das nicht frech, so die Tatsachen zu verdrehen? Man kann doch von niemandem verlangen, dass er das durchschaut. Bei solchen Meldungen ist doch klar, dass die deutsche Bevölkerung auch übermorgen noch kritisch gegenüber einer Legalisierung von Cannabis steht.
So viel zur verrückten Logik unserer deutschen Drogenpolitik. Durchdachtes Konzept, dass jetzt Früchte trägt. Aber zum Glück gibt es Leute, die das abgekaterte Spiel durchschauen.
Jetzt noch ein paar Gedanken zum Jugendschutz
Frau Mortler möchte am liebsten die Prävention flächendeckend ausbauen. Bin ich total dafür, denn gerade Jugendliche sollten nicht in Kontakt mit Cannabis und anderen Drogen (ja, auch Alkohol und Tabak) kommen. Bei Alkohol und Tabak ist vor allem die Allgegenwärtigkeit der beiden Substanzen brandgefährlich, denn Kinder wachsen quasi mit den beiden legalen Drogen auf und sehen sie als normal an. Da kann Alkohol – kenn dein Limit noch so viele Anstrengungen bemühen – solange bei meinem Herzens-Fußball-Verein Dynamo Dresden die Biermarke Feldschlößchen auf der Brust eines jeden Spieles prangt, nutzt das Präventionsangebot rein gar nichts. Alkohol hat unser Land ganz schön im Griff, Bierkästen für 3,99€ beweisen die Problematik auf indiskutable Art.
Beim Alkohol sehen wir also, dass durch die Werbung und die kulturelle Integration, wie ja gern gesagt wird, Kinder viel zu leicht mit der Droge in Berührung kommen. Doch anhand der Cannabis-Legalisierung in einzelnen US-Staaten oder in den Niederlanden sehen wir auch, dass man das Problem durch ein striktes Werbeverbot lösen kann. Verbote von Cannabis-Gummibärchen tun ihr Übriges, um Kinder von Cannabis-Produkten fernzuhalten.
An Schulen wird gedealt, was das Zeug hält.
In Deutschland ist die Situation jedoch im Moment folgende: An fast jeder Schule gibt es den ein oder anderen Schüler, der mit Cannabis dealt. Dieser Sachverhalt ist nicht belegt, aber eine erfahrungsgemäße Einschätzung. Schon die Dreizehnjährigen kommen mit Gras in Berührung, manchmal kifft der ganze Freundeskreis. Der vierzehnjährige Dealer fragt sicher nicht nach dem Perso, wenn der coole Tim mal wieder drei Gramm holt. Traurig. Jetzt kommt aber die flächendeckende Prävention von Frau Mortler ins Spiel.
Ich stell mir das so vor, dass in der dritten Stunde der Provinz-Polizist ins Klassenzimmer kommt und erstmal die ganze Palette von schlechten Eigenschaften von Cannabis aufzählt. Einstiegsdroge, Faulheit, soziale Isolation, kaputte Lebensgeschichten. Dabei gibt es dann zwei unterschiedliche Probleme. Nummer eins: Die Prävention findet zu früh statt. Wenn der Schüler XY dann später wirklich mal mit Drogen in Kontakt kommt, hat er schon längst wieder vergessen, was jetzt genau schlimm an Cannabis ist, da zum Zeitpunkt der Prävention Drogen noch gar keine Rolle gespielt haben. So erging es mir. Ich habe mit schätzungsweise vierzehn Jahren eine Präventions-Veranstaltung gehabt und erst mit achtzehn Jahren angefangen zu kiffen. War okay, denn die Präventionssache hatte ich längst verdrängt.
Schauermärchen ändern rein gar nichts
Problem Nummer zwei: Die Prävention findet statt, während die meisten Schüler schon längst mit Cannabis in Kontakt gekommen sind. Das bedeutet für den Präventionserfolg: Der Provinz-Polizist erzählt seine Schauermärchen, und alle Drogenkonsumenten in der Klasse lachen nur über seine Worte, denn so negativ haben sie die Droge nie wahrgenommen. Der Polizist wird schlicht nicht ernst genommen.
Mischt man beide Probleme, kommt man zu Problem Nummer drei: Verschiedene Schüler kommen mit verschiedenem Alter mit Drogen in Kontakt. Das heißt, man müsste entweder jedes Jahr eine Prävention durchführen oder man kann es gleich lassen. Ohne das beweisen zu können, bin ich der Meinung, dass der Zeitpunkt der Präventionsarbeit sehr wichtig ist. Der Zeitpunkt sollte aus oben genannten Grünen weder zu früh noch zu spät gewählt sein.
Gibt es eine kreativere und effektivere Lösung als Frau Mortlers Vorschlag?
Ja. Eine flächendeckende Legalisierung, um mal das Wording aufzugreifen. Denn Studien in Colorado zeigen deutlich, dass eine vernünftig umgesetzte Legalisierung ohne viel Werbung usw. den Konsum unter Jugendlichen runterschraubt.
Eine Regulierung bewirkt zweifelsohne einen wirksameren Jugendschutz, als die phrasierte flächendeckende Prävention. Wie gesagt, Jugendliche sollten es tunlichst vermeiden, mit Drogen in Kontakt zu kommen. Aber das die reine Prävention zu unwirksam ist, zeigen doch die aktuellen Zahlen. Da wird viel Geld aus dem Bundeshaushalt für eine Sache ausgegeben, die nicht unbedingt wirksam ist. Wie kann man das der alleinerziehenden Mutter erklären, die jeden Cent umdrehen muss? Wie kann man das der großen Zahl an Rentnern erklären, die an der Armutsgrenze kratzt? Wie kann man das den Eltern erklären, die keinen Kita-Platz bekommen?
Liebe Frau Mortler, ich bitte Sie inständig: Überdenken Sie die aktuelle Drogenpolitik und ergreifen Sie wirksame Maßnahmen. Lassen Sie die Bevölkerung nicht im Stich und haben Sie den Mut, Cannabis und auch andere Drogen zu regulieren. Haben Sie den Mut, durch Besteuerung und legale Abgabestellen für Cannabis ordentlich viele Steuergelder einzufahren und von diesem Geld sachbezogen Prävention zu finanzieren. Haben Sie den Mut, die bis zu zwei Milliarden Euro jährlich in den Bundeshaushalt fließen zu lassen. So könnte man auch gleich den im Drogenbericht erwähnten volkswirtschaftlichen Schaden in Höhe von 975 Millionen Euro auffangen. Es liegt in Ihrer Hand, Frau Mortler. Machen Sie was draus. Danke!
Mehr Lobpreisartikel auf Frau Mortler findest du
hier [Frau Mortler erwägt eine Entkriminalisierung von Cannabis]
sowie
hier [Warum Cannabis keine volkswirtschaftlichen Schäden anrichtet]
und
hier [Über Frau Mortlers Verlängerung als Drogenbeauftragte].