Anslinger´s Krieg gegen die Drogen.
Harry Jacob Anslinger dürfte jeder kennen, der sich mit Drogen beschäftigt. Laut Jack Herer, dem Papst der Legalize-Bewegung ist Anslinger der Mann, der mit perfiden Lügen den harmlosen Hanf verteufelt hat. Aber wer war der langjährige Chef der amerikanischen Drogenbehörde FDN wirklich?
Alexandra Chasin versucht, sich der Person und dem Denken von Anslinger anzunähern und ihn zu verstehen. Das Ergebnis ist:
Assassin of youth – a kaleidoscopic history of Harry J. Anslinger’s war on drugs
Aber wirklich nahe kommt sie Anslinger nicht. Schon im Titel wird klar, es geht nicht nur um den Mann, es geht um den Krieg gegen alle Rauschmittel, der lange vor Anslinger´s Geburt begann und bis heute dauert. Noch dazu ist es ein seltsames Buch, auch das verrät der Titel, eine kaleidoskopische Geschichte. Chasin wird als experimentelle Autorin bezeichnet.
Ihr Text ist eine Mischung aus soziologischer Studie und Biografie, die einzelnen Kapitel und Fakten werden wie die Scherben in einem Kaleidoskop willkürlich zusammengelegt und ergeben, durch die Gedanken der Autorin und des Lesers gespiegelt, ein bizarres Muster.
Wer als Fußsoldat der Legalisierung neue Argumente will, braucht die kaleidoskopische Geschichte in anspruchsvollem, verträumtem Englisch nicht zu lesen.
Chasin liefert hier keine neue Munition, wiederholt nicht das alte Mantra vom heilsamen Hanf und der Verschwörung böser, alter Männer.
Das ist gut so, denn Glauben an Verschwörungen ist wie der Glaube an Gott: Man kann sie nicht beweisen, aber ihnen die Schuld an all unserem Unglück geben, ohne selbst nachdenken oder gar aktiv werden zu müssen.
Wer aber selber denken will, auch unangenehme Gedanken über eigene Verantwortung und Selbstverständlichkeiten, der sollte die Geschichte von Anslinger´s Krieg auf jeden Fall lesen. Denn sie erklärt den Weg, wie wir uns eine Frage selbst beantworten können, die viele Legalisierungsaktivisten gern stellen, aber am liebsten unbeantwortet lassen:
Wie kann es sein, dass Hanf und andere Drogen verboten wurden?
Die Antwort ist unbefriedigend einfach und hochkompliziert: Eine Frau Mortler würde schnippisch sagen, das ist in unserer modernen Zivilisation eben so. Und hätte damit sogar recht. Denn wer wollte jemandem, der es nicht hören will, umständlich erklären, dass unsere Industriegesellschaft – und damit wir alle – gern alles geregelt und reguliert haben wollen.
Genauso gut könnte man fragen:
Wie kann es sein, dass sich niemand mehr vom eigenen Acker ernährt und trotzdem alle genug zu essen haben?
Wie kann es sein, dass alle genug zu essen haben und trotzdem Obdachlose und psychisch Kranke durch die Straßen geistern?
Wie kann es sein, dass wir uns von Maschinen, die uns dienen sollen, vorschreiben lassen, wann wir wach sein, schlafen, essen oder trinken dürfen?
Wenn wir Gerechtigkeit, Vernunft und Augenmaß fordern, dann verlangen wir eine nüchterne Justiz, eine nüchterne Verwaltung, eben eine nüchterne Gesellschaft, welche alle Rauschmittel als Feind betrachtet. So kommt es, das etwas wie Drogensucht mal als Krankheit gesehen wird und gleichzeitig ein Verbrechen ist, das von Polizei und Justiz bekämpft wird.
An der Drogenproblematik spiegeln sich alle Widersprüche aber auch alle Selbstverständlichkeiten von dem, was wir als normal bezeichnen. Die unangenehme Wahrheit ist wohl, wahrscheinlich hätte jeder von uns den Krieg gegen den Rausch in irgendeiner Weise mitgetragen. Wer die Moderne bejaht – und etwas anderes kennen wir nicht – der bejaht auch Regulation und Nüchternheit.
Schließlich ruft Chasin auch in Erinnerung, das die Feinde der Freiheit mächtig sind und wir sie keinesfalls unterschätzen sollten.
Im Gegenteil, jeder der gegen die Ideen von Regulatoren wie Anslinger und seiner Nachfahrin Mortler kämpft, sollte immer wissen, wie stark und einflussreich solche Personen sind. Wir sollten wissen, wie Anslinger seine Verbote durchgesetzt hat, indem er akribisch Daten sammelte, ihre Verwendung kontrollierte und den richtigen Leuten die richtigen Geschichten erzählte, ein Vollblut-Bürokrat und begabter Politiker. Und wieder müssen wir uns fragen:
Warum haben wir keine so mächtigen Hanfbefürworter?
Warum hat die Bewegung noch keine loyale Parteisoldatin, wie Marlene Mortler eine ist, die allen Sinn und Unsinn an sich abperlen lässt und für ihre Sache eintritt? Schließlich beweist die Personalie Anslinger, dass in der durchorganisierten Gesellschaft ein einzelner Mensch durch Fleiß und Strebsamkeit so viel Macht und Einfluss gewinnen kann, dass er einer ganzen Epoche seinen Stempel aufdrückt.
Chasin erinnert uns auch daran, das Anslinger letztlich derjenige war, der Drogen in der Popkultur etabliert hat. Er war es, der den Hanf erst unter dem Namen Marijuana berühmt machte. Ohne ihn würde das Hanfkraut wohl irgendwo zwischen Brennesseltee und Alkopops in der untersten Schublade von Smartshops verstauben. Es ist an uns, den bösen Geist dieses großen Propagandisten wieder zu entmachten.