Mittlerweile existieren unzählige Cannabis-Strains auf dem Markt. Große Samenbänke wie Green House Seeds, Royal Queen Seeds oder Sensi-Seeds agieren auf einem Multimillionen-Dollar-Markt und buhlen um die Gunst der Kunden. Dass im Geschäft mit Cannabis-Samen viel Geld steckt, erkennt man auch gut am Sponsoring der verschiedenen Hanf-Medien. Im Highway-Magazin habe ich erst eben wieder eine Anzeige von samenwahl.com gesehen, und auch ein Blick auf Cannabis-Rausch.de offenbart, dass Sensi-Seeds hier wahrscheinlich seine Finger mit im Spiel hat (wobei dem nicht so ist, da wir lediglich ihr Affiliate-Programm nutzen).
Doch was hat das ganze mit Genetik und dem willkürlichen Wachstum der Pflanzen zu tun? Nun, hinter jedem der oben genannten Unternehmen steckt natürlich auch jede Menge Marketing. Irgendwo müssen die exorbitanten Preise für Cannabis-Samen ja auch herkommen – die Produktionskosten eines Samens sind schließlich eher gering. Ein Hauptziel der Samenbänke ist deshalb neben der Qualität der Samen auch die Zahl der (potenziellen) Kunden. Angenommen, jeder Samenhersteller hätte die gleichen Samen im Programm – wovon würdest du die Entscheidung des Shops abhängig machen?
Wahrscheinlich von Zahlungsoptionen, dem Look&Feel des Shops und natürlich dem Preis. Da aber jeder Shop mehr oder weniger eigene Samen im Programm hat (wobei sich die Genetiken teilweise deutlich ähneln, wie du hier nachlesen kannst), müssen sich die Samenhersteller wohl oder übel auch über das eigentliche Produkt profilieren. Der geneigte Grower möchte schließlich Samen haben, die möglichst weiblich sind, möglichst erfolgreich keimen und einen möglichst hohen Ertrag liefern.
Was sind die Maßnahmen der Samenhersteller?
Sie haben feminisierte Samen im Programm, bieten vom Lichtzyklus unabhängige Automatik-Sorten an und schreiben von überwitzigen Indoor-Erträgen von bis zu 800 Gramm/m², so zum Beispiel bei Green House Seeds‘ White Widow. Royal Queen Seeds ist da etwas bescheidener, das White Widow des spanischen Shops schaffe 500 g/m². Auch das ist sehr viel Holz auf einem Quadratmeter! Sensiseeds geht beim Thema Ertrag einen anderen Weg, bei dem niederländischen Shop werden die Erträge lediglich relativ verglichen. Das Maximum der eigenen Ertragsskale bildet „XXL Yield“, das Minimum beginnt bereits bei „Medium Yield“. Kein Samenhersteller würde die eigenen Samen mit einem geringen Ertrag bewerben, deshalb gibt es bei Sensi wahrscheinlich auch kein „XXS Yield“. Übrigens ist RQS als einer der wenigen Hersteller wenigstens annähernd transparent, indem angegeben wird, dass sich die Erträge pro Quadratmeter auf einen Grow mit einer 600-Watt-Lampe beziehen.
Dann gibt es Sorten, die mit einer besonders kurzen Blütezeit beworben werden. So wird beispielsweise die Royal Cheese von Royal Queen Seeds mit einer Blütezeit von 6-8 Wochen beschrieben. Auch bei Sensi Seeds bekommt man Sorten wie die legendäre Skunk #1 mit einer knackig kurzen Blütezeit von 6-7 Wochen angeboten.
Doch was, wenn der Grower von Welt zur Tat schreitet? Ganz am Anfang können erste Enttäuschungen auftreten, wenn zum Beispiel einige Samen nicht keimen. Später kann es dann enttäuschend sein, wenn von vier feminisierten Samen drei Stück männlich sind. Wenn dann der Lichtrhythmus auf 12 Stunden Dunkelheit und 12 Stunden Licht umgestellt ist, wartet auch schon der nächste mögliche Rückschlag: Die Pflanze ist am errechneten Tag noch nicht fertig mit der Ausbildung der Blüten. Die nächste Enttäuschung lässt dann nicht lange auf sich warten, denn wahrscheinlich ist auch der Ertrag nach der Ernte etwas geringer als angenommen. Alternativ ist der Ertrag DEUTLICH niedriger als angenommen.
Doch woher kommen diese Differenzen?
Um diese Frage zu klären, lohnt sich ein Blick in die Seele der Pflanze. Denn die Pflanze ist ein hoch sensibles Lebewesen und reagiert auf unzählige Umwelteinflüsse. Luftfeuchtigkeit, Lichtspektrum, Lichtintensität, Temperatur, Boden-Beschaffenheit, Nährstoffe, Wind und Luftzusammensetzung. Hat hier irgendjemand CO2-Mangel gesagt?
Doch zurück zu den Samen. Wer schon einmal die Strainhunters geschaut hat, weiß, dass das Greenhouse-Team stets auf der Suche nach den begehrten Landrassen war und ist. Dafür sind sie unter anderem nach Nepal, Jamaika oder Afrika gereist. Doch ein Blick in den Greenhouse-Shop zeigt: Die Landrassen werden nicht zum Verkauf angeboten. Auch ein Blick in den Webshop von Barney’s Farm zeigt: Die in der Amsterdamer Coffeeshop-Filiale angebotene und als Landrasse beworbene Sorte Dr. Grinspoon, erhältlich für 18€ das Gramm, wird im Onlineshop nicht als Landrasse beworben. Also alles nur ein Gag?
Wahrscheinlich schon. Denn wie oben angesprochen reagiert die Cannabis-Pflanze (wie jede Pflanze auch) auf verschiedene Umweltfaktoren. Je nach Klimazone, Bodenbeschaffenheit, Sonnenstunden und Niederschlagshäufigkeit passen sich die Pflanzen über mehrere Generationen perfekt an die jeweiligen Bedingungen an. Landrassen aus Indien, Jamaika oder Marokko haben ihre DNA über unschätzbare Generationen bis ins kleinste Detail an die örtlichen Gegebenheiten angepasst.
Denn das ist Evolution: Die bestmögliche Anpassung an einen Lebensraum. Und eben diese Bedingungen scheinen die Samen-Sammler den Pflanzen in den Gewächshäusern nicht bieten zu können – wobei die technischen Möglichkeiten mittlerweile soweit sein, dass die Bedingungen indoor immer besser nachgebildet werden können. Doch interessant an der Stelle ist jetzt erst einmal: Was passiert, damit sich Pflanzen so hart an ihre Umgebung anpassen können? Für Interessierte habe ich das in einem kleinen Exkurs zusammengefasst. Wer sich vor Genetik und Vererbungslehre fürchtet, kann die nächsten Absätze auch gern überspringen.
Chromosomen und DNA
Um die Thematik ordentlich verstehen zu können, schauen wir uns den Zellkern einer Pflanze an. Darin finden wir das sogenannte Genom, den gesamten Chromosomensatz eines Lebewesens. Die Summe aller Chromosomen liegt in jedem Zellkern vor, bei unserer Pflanze auch im Chlorophyll. Jedes Chromosom besteht aus zwei Chromatiden. Auf diesen liegt die allseits bekannte DNA als Träger der Erbinformationen. In der DNA sind sämtliche Informationen über den Bau und damit auch das Verhalten der Pflanze oder allgemein des Lebewesens gespeichert. Die DNA selbst hat die Struktur der berühmten Doppelhelix, besteht also aus zwei Strängen – jeder Strang wiederum besteht aus sogenannten Nukleotiden. Ein Nukleotid besteht aus einem Basen– einem Zucker- und einem Phosphormolekül. Maßgeblich interessant sind in dem Zusammenhang die sogenannten Basen. Es gibt vier Basen – Adenin, Guanin, Cytosin und Thymin.
Ein einzelner DNA-Strang besteht aus einer ganz bestimmten Reihenfolge von Basenpaaren – wobei an der Stelle die Reihenfolge der Basenpaare entscheidend ist. Drei aufeinanderfolgende Basen (= Basentriplett) bilden eine sogenannte Aminosäure, insgesamt gibt es also 4³ = 64 Kombinationen. Je nach Kombination der aufeinanderfolgenden Aminosäuren ergeben sich dann die einzelnen Gene, wobei drei Basentripletts die Stopp- und ein Basentriplett die Startfunktion eines Gens abbilden.
Bevor wir zu etwaigen Schlussfolgerungen kommen, muss ich leider noch mit noch mehr Theorie daherkommen.
Mendelsche Regeln
An der Stelle ist es von Vorteil, die Mendelschen Regeln zu kennen (hier bei Wikipedia in aller Ausführlichkeit). Wie eine Pflanze (oder auch ein Kind) aussieht, entscheiden vorrangig die Gene der Eltern. Mama und Papa vermischen ihre Gene und heraus kommt ein Kind, bestenfalls mit einem genetischen Best-of der beiden Eltern. Doch leider kommt es in den allermeisten Fällen nicht zu einem Best-of der Gene, denn die Aufteilung erfolgt nach ganz besonderen Regeln: Den erwähnten Mendelschen Regeln. Biologieinteressierte sind auf den ersten Link verwiesen, die Ausführungen würden an der Stelle sonst den Rahmen sprengen.
Daher kurz und knackig: Ein Merkmal, und davon gibt es sogar bei einer Pflanze mehr als man denkt, wird entweder rezessiv (Abb. Kleinbuchstaben) oder dominant (Abb. Großbuchstaben) vererbt. Erschwerend kommt hinzu, dass ein Merkmal bei den Eltern mischerbig oder reinerbig vorliegen kann. Je nach Kombination dieser Faktoren ausgehend von den Elternpflanzen ergibt sich letzten Endes der Phänotyp der Tochterpflanze. An der Stelle: Bilder sagen mehr als tausend Worte:
Zurück zu den Cannabis-Pflanzen, die wachsen wie sie wollen
Wir wissen, dass sich Pflanzen so entwickeln, dass sie für einen bestimmten Lebensraum bestmöglich geeignet sind, also in einer bestimmten Umgebung bestmöglich funktionieren. Im Sinne der Macht des Stärkeren überleben gut angepasste Pflanzen länger, bzw. können sich (besser) fortpflanzen, als schlecht angepasste Pflanzen. Doch dazu müssen in einer Generation auch verschiedene Individuen vorliegen – doch warum sind Pflanzen mit den gleichen Eltern teilweise sehr unterschiedlich bzw. unterscheiden sich vom Aussehen her stark?
Unter Berücksichtigung der ersten beiden Mendelschen Regeln liegt das natürlich an der chaotisch geordneten Verteilung der Merkmale. Wenn man allerdings nur diese zwei Mendelschen Regeln anwendet, gäbe es nur sehr wenige unterschiedliche Ausprägungen von Pflanzen innerhalb einer Tochtergeneration (bei reinerbigen Eltern gäbe es bspw. nur drei verschiedene Phänotyen). Doch an der Stelle kommen wir zu einem unter evolutiven Aspekten sehr interessanten Sachverhalt: Dem Crossing-Over. Dabei spielt uns jetzt unser Grundwissen über Chromosomen und DNA in die Hände: Denn während der Meiose, einem Kernteilungsprozess während der Lebensentstehung, werden im Sinne des Crossing-Overs grob gesagt die Einzelstränge oder Chromatiden aller Chromosomen aufgedröselt, an zufälligen Stellen zerschnitten und mit anderen Einzelsträngen wieder zusammengesetzt.
Dabei beobachten wir folgendes Phänomen: Die DNA, die auf den verschiedenen Chromosomen liegt, wird natürlich als Bestandteil der Chromatiden auch mit zerschnitten, die entstehenden Einzelstränge neu kombiniert. Unsere anfängliche Ordnung und Reihenfolge der Basentripletts hat sich auf einmal verändert. Ganze Gene werden zerschnitten und damit unbrauchbar, während auf der anderen Seite neue Gene entstehen. Das ist auch der Grund, warum jeder Mensch anders aussieht und sich mehr oder weniger von Nachbarn, Eltern oder Geschwistern unterscheidet. Gene „sterben“ und Gene entstehen.
Und an der Stelle greift dann wieder die Evolution ein: Pflanzen, die durch die zufällig entstandenen bzw. neukombinierten Gene am besten an die Umgebung angepasst sind, werden ihre Gene auch im höchsten Maße an Nachkommen weitergeben. Während Pflanze A also schon verdurstet, wenn die Zeit der Bestäubung losgeht, kann sich Pflanze B locker flockig in weiteren Generationen verewigen, indem sie ihre Samen verstreut.
Unser konstruiertes Beispiel kann zum Beispiel zu Stande kommen, indem Pflanze A dünne und kurze Blätter hat und Pflanze B dicke, lange Blätter. In heißen und trockenen Regionen wäre Pflanze B klar überlegen, da sie erstens mehr Wasser in den Blättern speichern kann und zweitens durch die kleinere Oberfläche weniger Angriffsfläche für Verdunstung bietet.
Wie lassen sich diese Erkenntnisse auf die Cannabis-Pflanze übertragen?
Auch Cannabis-Pflanzen stabilisieren ihren genetischen Code über mehrere Generationen. Erweisen sich dicke, kurze Blätter als wirksam, dann werden auch die Nachfolge-Generationen dicke, kurze Blätter haben (siehe 1. + 2. Mendelsche Regel). Das ist auch der Grund dafür, dass sich Cannabis-Pflanzen in Indica-, Ruderalis- und Sativatypen einordnen lassen, auch wenn die Kategorisierung botanisch gesehen umstritten ist.
Doch was nützen diese Erkenntnisse dem Grower, der gerade aus einer Mexican Sativa eine fette, kompakte Indica erhalten hat? In dem Fall haben sich durch verschiedene Umstände hauptsächlich die Merkmale für das typische Indica-Aussehen herausgebildet. Entweder durch Crossing-Over oder durch rezessiv durchkommende Merkmale (Wahrscheinlichkeit 25% bei reinerbigen Eltern). Strains, die ihren genetischen Code über mehrere Generationen sukzessive stabilisiert haben, neigen weniger zu Mutationen. Grower, die die Genetik ihrer Pflanzen über mehrere Generationen verbessern wollen, sollten dementsprechend mit den Samen UND Pollen der jeweiligen Generationen weiterarbeiten und NICHT mit Stecklingen. Denn Stecklinge erhalten die Genetik der Eltern – Grower, die schon die perfekte Genetik vor sich haben, fahren also mit einer auf Stecklingen basierten Zucht besser.
Wer noch nicht so weit mit der perfekten Genetik ist, sollte nicht die deutlich aufwändigere Arbeit der auf Samen basierten Zucht scheuen. Nur durch das über die Generationen immer wieder neue Bestäuben des Fruchtknotens der Dame mit den Pollen der Herren entstehen die ersehnten Neukombinationen. So gewöhnt sich die Pflanze am besten an die jeweiligen Umweltbedingungen und kann sich genetisch stabilisieren. Und wer weiß: Vielleicht kommt ja ein absoluter Über-Strain raus, für den dich bald die ganze Nation liebt?