Ein Gastbeitrag von Steffen Geyer. Dieser wurde zuerst am 30.12.2017 veröffentlicht
Nachdem wir im (ab)laufenden Jahr relativ viel Bewegung in Sachen Hanf erlebten und obwohl mit der Genussmittellegalisierung in Kalifornien zum Jahreswechsel ein echter Knaller auf CannabisfreundInnen wartet, wird 2018 für manche Ernüchterung sorgen.
Trauerspiel Bundestag
Die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag und die drogenpolitisch enttäuschende personelle Entwicklung durch die Bundestagswahlen lassen in den kommenden Monaten Stillstand befürchten. Oder besser erhoffen, denn es könnte 2018 durchaus eine Verschärfung der Gesetzeslage bezüglich CBD sowie eine schärfere Rechtsdurchsetzung besonders im Umgang mit illegal Cannabis anbauenden PatientInnen drohen.
Freuen dürften sich lediglich cannabiphile Liberale – Die FDP wird in der Opposition vermutlich ihr Herz für KifferInnen öffnen und gelegentlich aus der zweiten Reihe auf mögliche Mehreinnahmen hinweisen.
Sonst ist von den politischen Parteien wenig Neues zu erwarten. Ohne Wahlkampf werden nur wenige PolitikerInnen den Kopf aus dem drogenpolitischen Fenster hängen. Zu groß ist noch immer die Gefahr des Stigma als „Drogenfreund“.
Mit dem Einzug der AfD ins Epizentrum der Macht dürfte sich stattdessen so mancher selbst für ProhibitionsveteranInnen schrille Ton in der Debatte hörbar machen.
Grasbehörde ohne Biss
Der Cannabisagentur bzw. dem Projekt „Deutsches Gras für deutsche PatientInnen“ droht ebenfalls ein verlorenes Jahr. Die vom BMG nur stiefmütterlich ausgestattete Behörde liegt schon jetzt weit hinter den selbstgesteckten Zeitplänen und ist angesichts laufender Klagen gegen das Ausschreibungsverfahren vor Angst in Untätigkeit erstarrt. Helfen könnte allenfalls einE einschlägig interessierte GesundheitsministerIn… Falls ihr da Vorschläge habt – mir fällt jedenfalls keine aktuelle politische Spitzenkraft ein, den/die ich mir für den Posten wünschen würde.
Wir können gemeinsam singen, aber…
An den eigenen Haaren aus dem Schopf ziehen wird für die PatientInnen indes jeden Tag schwieriger. Zu groß sind inzwischen die Bedürfnisgräben, zu unterschiedlich die individuelle Situation. Wo es vor wenigen Jahren noch zwei Gruppen gab – jene mit Ausnahmegenehmigung (inkl. Kostendruck) und jene, die eine haben wollten – ist seit Inkrafttreten des Cannabismedizingesetzes im März im weiten Feld zwischen „Ich bin aus praktischen Gründen krank. Wegen Führerschein. Und jetzt krieg ich jeden Monat 120 Gramm aus der Apotheke und muss nicht einen Cent bezahlen. Krass geil Alter.“, „Eigentlich will ich ja anbauen dürfen und die Klage lief auch gut, aber jetzt zahlt mir die scheiß AOK das eklige Apothekengras.“, „Ich habe in der Zeitung gelesen, wie gut das Cannabis ist, aber mein Arzt weigert sich auch nur drüber zu reden.“ und „Nachdem ich endlich einen Arzt gefunden hatte, weigert sich jetzt die Krankenkasse, die Kosten zu tragen. Ich hab keine Kraft mehr für ne Klage und den ganzen Stress.“ eine beständige Zersplitterung der Szene zu beobachten.
Es fehlt den Betroffenen an gemeinsamen Forderungen und dem Personal, diese öffentlichkeitswirksam zu kommunizieren. Dieser bedauerliche Trend wird sich 2018 fortsetzen, wenn katastrophische Einzelereignisse ausbleiben, die eine ungeplante Erneuerung der Medizinalhanfszene erzwingen.
Hotboxing statt Sprechchöre
Wo PatientInnen Hilfe verweigert wird, dürfen Genusskiffer erst Recht nicht auf (Gegen)Liebe hoffen. Ganz im Gegenteil drohen gleich mehrere Rückschläge. So hat die neue Regierung Österreichs ein Ende des liberalen Umgangs mit Stecklingen und Hanfsamen angekündigt. Modellprojekte zur Cannabisabgabe werden außer in den Stadtstaaten Bremen und Berlin allenfalls auf kommunaler Ebene und selbst dort nur halbherzig diskutiert. Von einer Unionsminderheitsregierung, GroKo oder KoKo sind nötige BMG-Genehmigungen indes eh nicht zu erwarten.
Für einen Politikwechsel fehlt es – diesen Vorwurf müssen wir NutzerInnen uns gefallen lassen – schlicht am politischen Druck von unten. Daran wird sich 2018 vermutlich nichts ändern. Stattdessen erwarte ich eine sinkende Beteiligung an einschlägigen Events wie GMM und Hanfparade.
Cannabis wird täglich mehr zum Lifestyleprodukt. Verständnis für die politischen Prozesse, eine sinnstiftende Vision des legalen Cannabismarktes oder gar artikuliertes Bedürfnis einer Bürgerechtsbewegung zur Befreiung der KonsumentInnen, ProduzentInnen und HändlerInnen – all das scheint den jungen KifferInnen fern zu liegen. Darüber können singuläre „Erfolge“ in den Bereichen Clicktivism und Petitionitis nicht hinwegtäuschen.
Die AktivistInnenszene wird 2018 weiter ärmer werden – personell und finanziell.
Das Glas ist halb voll!?
Also alles Scheiße? 2018 schon jetzt abhaken? Auswandern? So weit muss es nicht kommen!
Die Zeiten sind noch immer günstig. Der globale Wind weht weiter in Richtung Legalisierung – hierzulande die Segel richtig setzen können indes nur wir™.
Unterstützt lokale Aktionsgruppen. Gründet kleine Zellen des Anders-haben-Wollens wo immer Ansprechpartner fehlen. Vernetzt euch. Bildet einander. Zweifelt, wenn jemensch sagt, wie „Legalisieren“ funktioniert.
Im Namen der Aufklärung; für Freiheit, Solidarität und Gleichberechtigung – Denkt selbst!