Zwei Cannabispatienten und ein Genusskiffer.
Von Simon Tyrra.
Peter leidet seit seiner Jugend an chronischen Schmerzen. Viele Jahre nahm er verschiedenste Medikamente, doch keines half. Dann stieß er auf Cannabis. Auch Andrea und Chris haben das medizinische Potential der Pflanze erkannt. Cannabis gilt allerdings immer noch als Einstiegsdroge und wird in Deutschland nicht ohne Weiteres von Ärzten verschrieben.
„Ich verwende Cannabis, weil mir nichts anderes mehr hilft. Ich bin austherapiert.“ Peter (Name geändert) sitzt auf einem Klappstuhl im Wohnzimmer eines Freundes. In der Luft hängt der süßlich-herbe Geruch von Cannabis und leichte Nebelschwaden wabern durch den Raum. Auf einem Banner über dem Bett, das in der Ecke des Raumes steht, liest man in großen Buchstaben „Revolution“. Ein Blick aus dem Balkonfenster offenbart die Glasfront eines hohen Bürogebäudes, in der sich die Lichter der Ampeln und Autos spiegeln.
Peter leidet seit seiner Jugend an Schmerzen.
„Es ist eine spezielle Kopfschmerzform und sehr schwierig zu behandeln.“ Die Schmerzen sind so stark, dass er nicht für längere Zeit aus dem Haus gehen kann, ohne vorsorgliche Maßnahmen zu treffen. Aber nicht nur Cannabis setzt er zur Bekämpfung der Schmerzen ein. „Was mir am besten hilft, ist reiner Sauerstoff. Ich tanze zu Hause um die Haschpfeife und die Sauerstoffflasche“, erzählt er mit einem Schmunzeln. Trotz dieses Schicksals macht der Mann mit dem schütteren Haar und dem Schnäuzer einen aufgeräumten Eindruck.
Peter bekommt seine Medizin von einem Arzt verschrieben.
Probleme hat er mit dem Mediziner nicht bekommen. „Ich habe ihm meine Situation geschildert und gesagt, dass ich mich mit Cannabis selber therapiere“, erzählt er, während er an seinem Vaporizer zieht. Peter verwendet neben Cannabinoltropfen auch „Sativex“, um seine Schmerzen zu behandeln. Auf Unterstützung von der Krankenkasse kann er in diesem Fall nicht hoffen, er muss die Medikamente alle aus eigener Tasche bezahlen.
In diesem Medikament wird das THC mit dem Wirkstoff Cannabidiol (CBD) kombiniert. Das Cannabidiol ist nicht psychoaktiv und verhindert, dass Patienten einen Rausch erleben. Das Spray enthält Nabiximols, eine Pflanzenextraktmischung, die aus den Blättern und Blüten der Hanfpflanze gewonnen wird. Sativex wird unter anderem zur Behandlung von Multipler Sklerose eingesetzt, da Cannabidiol Spastiken entgegenwirkt und die Muskeln entspannt.
Die Verwendung von Cannabis ist in Deutschland per Gesetz verboten.
Seit 1998 darf jedoch Dronabinol, auch als Tetrahydrocannabinol (THC) bekannt, von Ärzten verschrieben werden. Patienten können außerdem von der Bundesopiumstelle des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte eine Ausnahmegenehmigung erhalten, um Cannabis medizinisch nutzen zu können. Seit März diesen Jahres (2017) gilt ein neues Gesetz, nachdem Cannabis in Deutschland von Ärzten als Rezept verschrieben und in Apotheken gekauft werden kann.
Auch Andrea (Name geändert) verwendet Cannabis für medizinische Zwecke. Sie leidet aufgrund eines starken Wachstumsschubes in ihrer Jugend an chronischen Schmerzen. Bei ihr ist die Situation jedoch eine andere. Für sie war es eine Überwindung, sich ärztliche Hilfe zu holen. „Ich musste erst einmal den Mut aufbringen, einen Arzt darauf anzusprechen, weil ich eine Suchtgeschichte hinter mir habe“, erklärt die Frau mit dem leichten Lispeln. Andrea war lange Zeit abhängig von Opiaten, die sie als Medikamente gegen ihre Rückenschmerzen eingenommen hat. „Ich habe in dieser Zeit viel ausprobiert und bin auch auf Cannabis gestoßen“, berichtet sie. „Mein Antrag auf medizinisches Cannabis liegt im Moment beim Arzt.“ In ihrer Stimme schwingt Hoffnung mit. „Es muss noch genehmigt werden.“ Im Moment bewegt sie sich beim Erwerb von Gras in der Illegalität. „Man wird paranoid. Aber nicht durch das Gras, sondern weil man Angst hat, erwischt zu werden“, gibt sie zu.
Das Risiko geht die 49-Jährige dennoch gerne ein.
„Andere Medikamente schaden meinen Organen. Ich nehme mir raus, mich noch illegal zu bewegen und selbst zu entscheiden, welche Medizin für mich die Bessere ist.“
Beiden liegt die Entkriminalisierung von Cannabis sehr am Herzen. Aus diesem Grund sind beide Mitglied beim Verein „Cannabis Colonia“ geworden. Der Verein besteht seit 2011 und hat sich zum Ziel gemacht, über Cannabis aufzuklären und zur Entkriminalisierung der Droge beizutragen. Andrea hat 2012 an einer sogenannten „Dampfparade“, einer Art Kundgebung des Vereins, teilgenommen und sich dadurch entschieden, aktiv an der Aufklärung teilzunehmen. Vor allem im Gras, das „auf der Straße“ verkauft wird, sieht sie eine Gefahr. Das Problem sei die Rauszüchtung von CBD, erklärt Peter. „CBD ist der Gegenspieler zum THC in der Pflanze.“ CBD schwächt die Wirkung des THC und durch sein Fehlen werde die Wirkung zu stark und somit zur Gefahr.
Chris, der auch mit im Raum auf einem kleinen Campingsessel sitzt und Mitglied bei Cannabis Colonia ist, erinnert sich an ein Gerichtsverfahren am Kölner Verwaltungsgericht, an dem der Verein teilgenommen hat, um die Angeklagten zu unterstützen.
„Bei dem Verfahren ging es um Patienten, die die Erlaubnis hatten, Cannabis aus der Apotheke zu bekommen“, erzählt er. „Die konnten sich das allerdings aufgrund ihres Einkommens nicht leisten.“ Das Gericht gestattete den Patienten dann, zu Hause anzubauen. „Einer von denen hatte aber eine zu kleine Wohnung und das Gericht hat den Anbau verboten“, erzählt er. „Es hat drei Tage ununterbrochen geregnet und wir standen dort mit unseren Bannern“, erinnert er sich und fängt an zu lachen.
Chris selbst ist kein Schmerzpatient, sondern kifft aus Genuss. „Ich habe mit 16 angefangen zu kiffen.“ Er reflektiert seinen Konsum aber auch. „Ich bin mir über die Gefahren von Cannabis durchaus bewusst.“ Er ist der Auffassung, dass Cannabis nicht für jeden Menschen geeignet ist: „Menschen die eher ruhig und introvertiert sind, denen würde ich zur Vorsicht raten, weil Marihuana das Ganze noch verstärken kann.“ Andrea erkennt die Gefahr des Konsums ebenfalls: „Wenn es in die Sucht umschlägt, wird es gefährlich. Wenn ich ein Kind hätte, würde ich schon versuchen, so viel Aufklärung wie möglich zu betreiben.“
Der Cannabisgeruch ist bis auf ein Minimum aus der Wohnung verschwunden. In der Glasfront des Hauses gegenüber werden neben den Lichtern der Ampeln und der Autos mittlerweile auch die Straßenlaternen gespiegelt. Peter, Andrea und Chris sind sich einig: Sie sind mit der Aufklärung auf dem richtigen Weg. Bis sie am Ziel sind, wird es allerdings noch eine Weile dauern.