Am 27.6. fand eine öffentliche Anhörung des Ausschusses für Gesundheit im Bundestag statt. Diskutiert wurden Anträge der FDP und der Linken sowie ein erneuter Gesetzesentwurf zur Legalisierung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Im Saal saßen neben Politikern aller Parteien auch zahlreiche Sachverständige, die auf Redeerlaubnis des Vorsitzenden brav die vielen Fragen beantworteten. Wir fassen den Termin für euch zusammen.
Was wurde diskutiert?
Die Grünen fordern in ihrem Gesetzesentwurf unter anderem, Cannabis aus den strafrechtlichen Regelungen des Betäubungsmittelgesetzes herauszunehmen. Erwachsene sollen 30 Gramm besitzen dürfen und bis zu drei Pflanzen legal zu Hause züchten dürfen (SCROG regelt). In eigens dafür vorgesehenen und zertifizierten Läden sollen Erwachsene Menschen die Möglichkeit haben, staatlich kontrollierte Cannabis-Produkte käuflich zu erwerben. Natürlich mit Ausweiskontrolle und weiteren Jugendschutzmaßnahmen.
Soweit zum umfangreichen Gesetzesentwurf der Grünen. Doch auch die Linke und FDP haben inhaltlich gearbeitet und reichen jeweils eine Anfrage zu diesem Termin ein.
Die FDP fordert einen streng regulierten Markt und setzt in ihrem Antrag vor allem mit der ewigen Bitte nach Modellprojekten Nadelstiche. Die Linke fordert, dass Erwachsene bis zu einer Menge von 15 Gramm Cannabis im eigenen Besitz keine strafrechtlichen Konsequenzen fürchten müssen und fordern, dass der Besitz von drei Pflanzen legal sein solle.
Wer saß im Saal?
Im Saal saßen vor allem viele alte Bekannte aus solchen Sitzungen. Georg Wurth vom deutschen Hanfverband war am Start, Volkswirtschaftler Prof. Dr. Justus Haucap, Ex-Polizeipräsident aus Münster Hubert Wimper, aber auch Maximilian Plenert, unter anderem wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Sens Media. Zu den Legalisierungsbefürwortern im Saal zählten zudem Dr. Konrad Cimander, Facharzt für Allgemein- und Suchtmedizin, Dr. Raphael Gaßmann, Geschäftsführer der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) e.V und noch ein paar mehr.
Als Legalisierungsgegner waren Prof. Dr. Rainer Thomasius, die Bundesärztekammer und Uwe Wicha, von der Entzugsklinik „Alte Flugschule“ im erzgebirgischen Großrückerswalde, anwesend.
Unter den Abgeordneten ebenso alte Bekannte aus dem Cannabis-Politstreit, zum Beispiel Stephan Pilsinger von der CSU oder Kirsten Kappert-Gonther von den Grünen.
Die Anhörung:
Erstmal: Geschickt terminiert, ganz knapp vor Anstoß des letzten Spiels Deutschlands bei der diesjährigen Fußball-WM. Es war also nicht mit übermäßig großem Medieninteresse zu rechnen.
Der Vorsitzende der Anhörung, Erwin Rüddel, geht sehr unvoreingenommen an das Thema heran und ermöglicht durch seine ruhige Moderation einen sehr angenehmen Informationsaustausch zwischen Befürwortern und Gegnern einer Cannabis-Legalisierung. Die Anhörung lief, wie geplant, 90 Minuten und in dieser Zeit wurden so viele Fragen wie möglich besprochen. Die Reihenfolge der Fragen richtet sich nach Größe der Fraktionen im Bundestag, weshalb die CDU und SPD auch ein Recht auf die meisten Fragen hatten.
Insgesamt erschien mir die Diskussion sehr sachlich, die meisten Argumente von Befürwortern und Gegnern konnten in den 90 Minuten vorgetragen werden. Die Argumente an sich kennen wir schon alle, in unseren mittlerweile mehr als 250 Artikeln kam schließlich auch die Politik und Legalisierung nicht zu kurz. Wer mag, kann sich ja mal unser Interview mit Frank Tempel durchlesen: Nach Lektüre dieses umfangreichen Beitrags kennt ihr alle Argumente, Probleme und Lösungsansätze in Bezug auf Drogenpolitik.
In der Anhörung wurden von den verschiedensten Sachverständigen die meisten Argumente, die auch wir und Frank Tempel mittlerweile im Schlaf runterbeten können, nachvollziehbar dargelegt. Einige der anwesenden Sachverständigen sehen das ähnlich und sprechen von einem Flashback. Einige der anwesenden Experten kokettierten damit, dass er oder sie schon einmal in solch einer Runde vor dem Gesundheitssauschuss saß, um die gleichen Argumente wiederzugeben.
Eine Auswahl Sachverständiger mit ihren Antworten:
Dr. Rainer Thomasius, Suchtforscher
Ein beliebter Experte für Prohibitionsbefürworter und Legalisierungsgegner ist immer wieder Dr. Rainer Thomasius. Thomasius ist Ärztliche Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes und Jugendalters (DZSKJ) im Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf (UKE) sowie des Bereichs Suchtstörungen an der Klinik für Kinder und Jugendpsychiatrie-, psychotherapie und: psychosomatik(UKE). Seine Argumente:
- Das Mehrsäulen-Konzept aus Prävention und Ausstiegshilfen habe sich bewährt
- Deutschland verfolge einen erfolgreichen cannabispolitischen Kurs.
- Bei einer Legalisierung würden Suizide, Verkehrsunfälle und konsumbedingte Notfallbehandlungen die Gesellschaft belasten
- Der Schwarzmarkt bliebe bei einer Legalisierung bestehen, Kinder und Jugendliche seien durch eine Legalisierung besonders gefährdet.
Zur Person Rainer Thomasius sollte an der Stelle noch gesagt werden, dass er bereits 2005 an einem Wissenschaftsskandal der Bundesregierung beteiligt war, der deutsche Hanfverband berichtete. Damals sollte für die Bundesregierung ein Gutachten mit dem aktuellen Forschungsstand bezüglich Cannabis erstellt werden. Prohibitionsbefürworter Thomasius bekam den Zuschlag für die Studie ohne Ausschreibung seitens des Gesundheitsministeriums. 13 Jahre später wird er immer noch gern von der Bundesregierung eingeladen, um als ernannter Experte den aktuellen cannabispolitischen Kurs weiter auf wissenschaftlicher Grundlage zu verteidigen.
Seine Argumente müssen wir an der Stelle gar nicht weiter kommentieren, denn das haben bereits viele der anderen anwesenden Experten für uns getan:
Prof. Dr. Lorenz Böllinger
Mein Namensvetter war auch in der hochkarätigen Runde vertreten und hat glatt mal die erste Redezeit so lange strapaziert, dass er bei der zweiten Konsultation nur noch auf eine von drei Fragen antworten durfte. Klar, nicht jedes Detail hat in dieser Runde Platz und die genannten Argumente sprechen auch schon so eine deutliche Sprache.
- Cannabis sei heute leichter, in größeren Mengen und billiger zu haben als früher
- Der Krieg gegen Drogen sei gescheitert.
- Das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) schütze NICHT die Volksgesundheit
- Erst das BtMG erzeuge einen profitträchtigen Schwarzmarkt mit Traummargen und mache Nichtkriminelle zu Kriminellen
- Die Prohibition koste die Strafverfolgung jedes Jahr Milliarden Euros
Zum Hintergrund Lorenz Böllingers: Der Strafrechtsprofessor und Experte für Rechtspsychologie aus Bremen kämpft schon seit vielen Jahren gegen die Gesetzgebung bezüglich Cannabis in Deutschland. Lorenz Böllinger ist Mitglied im Expertennetzwerk gegen die Prohibition Schildower Kreis und steht dort auch im Impressum. Unter seiner Führung wurde eine Resolution in den deutschen Bundestag eingebracht, die einen drogenpolitischen Richtungswechsel fordert. Diese Resolution haben 122 Strafrechtsprofessoren aus Deutschland unterschrieben!
Prof. Dr. Justus Haucap
Wie Lorenz Böllinger ist auch Justus Haucap nicht erst seit heute für ein Umdenken in Sachen Drogenpolitik unterwegs. Den Professor für Volkswirtschaftslehre habe ich bereits letzten Herbst bei der Cannabis Normal! Konferenz mit einem Vortrag über die volkswirtschaftlichen Schäden einer Legalisierung im Vergleich zur Prohibition gesehen. Aktuell arbeitet er im Auftrag des deutschen Hanfverbandes an einer aussagekräftigen und repräsentativen Studie zu selbigen Thema. Seine Argumente im Rahmen der Anhörung:
- Mit einer Freigabe von Cannabis könnte dem organisierten Verbrechen wirksam die Kontrolle über den Schwarzmarkt entzogen werden
- Jugendliche bekämen Stand jetzt problemlos Cannabis, dies könnte lediglich ein regulierter Markt ändern
- Dealer auf dem Schwarzmarkt verkauften häufig verunreinigtes oder mit Streckmitteln versetztes Cannabis. Erst innerhalb eines regulierten Markts könnten verbraucherschützende Maßnahmen installiert werden
- Schwarzmarktdealer zielen laut Haucap im Gegensatz zu lizenzierten Abgabestellen darauf ab, den Kunden neben Cannabis auch weitaus härtere, gewinnträchtige Drogen zu verkaufen.
- Positive Nebeneffekte einer regulierten Freigabe wären Steuereinnahmen und Arbeitsplätze
Haucap überzeugt an der Stelle durch seine thematisch-inhaltliche Dichte, indem er finanzielle, kriminologische, rechtliche, soziale und jugendschutzbezogene Aspekte in Zusammenhang bringt. Doch halten seine Argumente auch denen von Uwe Wicha stand?
Uwe Wicha
Der Leiter einer Klinik für Drogenrehabilitation aus Dunkelsachsen, ich darf das schreiben, da ich auch aus der Grenzregion Sachsens komme, setzt den aufkommenden Pro-Argumenten mäßig-fundierte Contra-Argumente entgegen:
- Alkohol schaffe bereits genug Probleme bei Kindern und Jugendlichen. Jugendliche sähen bei Alkohol keine Probleme, weil er legal sei. Diese Befürchtung teilt Wicha auch in Bezug auf eine mögliche Cannabis-Legalisierung.
- An Schulen würde der Schwarzmarkt größer werden als unter den Zeichen der Prohibition (Anm. d. Red.: Schulen sind auch heute schon ein wahnsinnig beliebter Ort für Drogengeschäfte aller Art)
- Dealer müssten sich nur vor legalen Abgabestellen positionieren, um potentielle Kunden für ihre Schwarzmarkt-Produkte zu akquirieren.
Der Schwarzmarkt bliebe seiner Meinung nach also bestehen, was er jedoch nicht weiter belegen kann. Das Jugendschutz-Paradoxon haben bereits andere Redner besser erklärt. Denn mit Blick auf legal states sollte klar werden, dass eine mögliche Legalisierung den Konsum unter Jugendlichen nicht steigen lässt. Fairerweise sollte jedoch auch gesagt werden, dass Legalisierungen bisher auch noch keinen nennenswerten Rückgang beim Konsum an Schulen herbeigeführt haben. [Quelle]
Man mag es kaum glauben, aber auch die Bundesärztekammer macht sich Sorgen um unsere Jugend. Und das auch absolut berechtigt – jedoch nützt es den tausenden kiffenden Schülern da draußen in der Realität nichts, wenn in der grauen Theorie andauernd die Gefahren vorm Kiffen bei Jugendlichen durchgekaut werden und in der Praxis an jeder Schule mehrere Dealer Marketing für Gras betreiben.
Bundesärztekammer/ Bundespsychotherapeutenkammer
- Es sei nicht abschließend geklärt, ob Cannabis Psychosen auslösen könnte
- Mögliche Schäden bei jungen Leuten, die Cannabis konsumieren (Schulprobleme, Störung der geistigen Entwicklung)
- Gefahr durch Mischkonsum des Cannabis mit anderen Substanzen wie MDMA, Tabak oder Alkohol
Was bleibt unterm Strich?
Soweit zu den wichtigsten Argumenten, auch wenn an der Stelle ein paar Beiträge zu Gunsten der Artikellänge gefiltert wurden. Was jedoch klar auffällt: Jede Seite bedient sich anderer Studien, jede Seite hat ihre klaren Standpunkte. Mediziner wie Thomasius, die schon vor 20 Jahren gegen die gedankliche Legalisierung wetterten, scheinen die Zeichen aus Amerika nicht entschlüsseln zu können. Deshalb kam es auch immer wieder zu fachlichen Unstimmigkeiten zwischen Gegnern und Befürwortern einer geregelten Abgabe, wobei mancher Sachverhalt sowohl positiv, als auch negativ für die verschiedenen Argumentationen genutzt wurde.
Zu den Anfragen der Linken und FDP wurde wenig bis nichts gesagt. Die Haltung der Bundesregierung gegenüber den von der FDP geforderten Modellprojekten bleibt gleich: Modellprojekte trügen weder zur besseren medizinischen Versorgung der Bevölkerung bei, noch würden sie Drogenabhängigkeit oder Missbrauch des BtMG verhindern. Eine Legalisierung von Cannabis lehnt die Bundesregierung weiterhin ab.
Wir bleiben gespannt, wie lange ein Aufweichen seitens der Bundesregierung noch dauert. Die Zusammensetzung der Experten, die Fragen der Abgeordneten und die immer schwächeren Contra-Argumente im Vergleich zu den Zahlen aus den legal States oder anderen Staaten Europas lassen jedoch darauf hoffen, dass sich in Zukunft etwas ändert. Die Frage nach dem ob brauchen wir uns gar nicht mehr stellen, vielmehr die Frage nach dem wann.