Im Laufe des letzten Wahlkampfes war ein Satz in den verschiedensten Kommentarspalten besonders präsent: „Es gibt echt wichtigere Themen, als die Cannabis Legalisierung!“
Doch wer jetzt auf Grund der Aufmachung gleich an Zeit-Online, Welt.de, Spiegel oder Focus Online denkt, hat nur ein natürliches Habitat des Satzes im Sinn. Denn nicht nur in Bereichen, in denen ein halbwegs repräsentatives Schnittbild der Gesellschaft kommentiert, pöbelt und kritisiert, ist dieser Satz auszumachen. Dieser Satz ist ebenso in Kommentaren und Beiträgen in Cannabis-Gruppen zu finden, aber auch im Gespräch mit Mama, Papa, Freunden, Kiffern, Nicht-Kiffern, Menschen.
DIE Frage, die du dir jetzt natürlich stellst: Na und? Ist doch total egal, was Leute in die Kommentare schreiben, hat doch alles eh keine Relevanz.
Dazu sage ich: Nö.
Ich finde die Beobachtung hoch interessant. Denn sie zeigt, dass viele Menschen „der Politik“ nicht mehr viel zutrauen. Im Sinne von: „Die Politik“ ist hoch überfordert und kann in den nächsten vier Jahren nur drei, vier wichtige Themen bearbeiten (‚dafür richtig!‘) und für kleine Themen ist Wahlkampf nur verschwendete Liebeslust. Kleine Themen sollen die „großen“ Themen in Koalitionsgesprächen nicht behindern.
Doch wer bestimmt eigentlich, was große und kleine Themen sind? „Die Politik“?
Ich persönlich bin ein politischer Mensch und habe eine genaue Vorstellung von einer lebenswerten Welt. Und für mich endet eine lebenswerte Welt nicht bei der Grundsicherung, bei garantierten Renten und bei einer gesunden Wirtschaft. Bei mir ist eine Welt erst so richtig lebenswert, wenn die darin lebende Gesellschaft vom Ersten bis zum Letzten funktioniert. Und funktionieren heißt für mich: Jeder, der Teil einer Gesellschaft ist, hat Freiheiten. Diese Freiheiten gelten für jeden Teilhabenden gleich. Niemand wird anders behandelt als sein Nachbar – oder als jemand, dessen Gehaltscheck vier Nullen mehr vor dem Komma aufweist.
Diese Auffassung von Freiheit wurde übrigens auch bei der Ausarbeitung des Grundgesetzes im Hinterkopf behalten. So steht im Grundgesetz in Artikel 2:
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
Die eigentliche Herausforderung besteht aber nun in der Wahrung der Freiheiten im Einzelnen, im Kleinen.
Wenn ich jetzt also behaupte, dass unsere Gesellschaft noch nicht freiheitlich lebt, dann meine ich das wie folgt:
- Euro-5-Dieselbesitzer dürfen ihr langerspartes Auto nicht mehr durch den Großstadt-Stau lenken – und werden von Politik und Industrie auf den Folgekosten sitzen gelassen
- Menschen ohne Auto (wie ich) bezahlen mit ihren Steuern für die Straßen der Autofahrer (auch die Straßen, die Euro-5-Fahrer gar nicht mehr benutzen dürfen).
- Euro-5-Fahrer bezahlten bei Kauf ihres Golf 2.0 TDI die Rente Martin Winterkorns (3000€ pro Tag), bleiben aber auf den von Winterkorn verantworteten, schwer verkäuflichen Gebrauchtwagen sitzen.
Mit diesem Cannabis-fremden Beispiel aus dem wirklichen Leben möchte ich verdeutlichen, dass unsere Freiheit zu Gunsten mächtiger Interessensgruppen mit Füßen getreten wird. Damit möchte ich verdeutlichen, dass im voranstehenden Beispiel in keinem Fall der Verbraucher oder die Umwelt die Gewinner sind. Wertfrei muss ich erkennen: Allein die Konzerne profitieren von der großzügigen Auslegung unserer Freiheiten.
Ich schließe mit Wertung:
In unserem Staate ist einiges faul, und zwar nicht nur die Fipronil-Eier.
Unsere Freiheiten, die über hunderte Jahre erkämpft wurden, werden von uns, der Mehrheit, einfach mit dem Satz „Gibt es nicht wichtigere Themen?“ ihrem Zerfall überlassen. Denn eines wird bei näherer Betrachtung klar: Heute, im Informationszeitalter, sollte es eigentlich niemandem möglich sein, uns an der Nase herumzuführen. Heute sollte es eigentlich selbstverständlich sein, dass Entscheidungen anhand vorhandener Datenmassen gefällt werden. Und das schreibe ich nicht als Wirtschaftsinformatiker, sondern als Mensch von Welt. Heute sollten wir nicht mehr der Emotion die Deutungshoheit beimessen, sondern dem Fakt. Doch solange wir, die Mehrheit, nicht klar äußern, was wir wirklich wollen, was jedem Einzelnen von uns wichtig ist, solange ist der Grundstein nicht gelegt, dass wir dem Freiheitsbegriff näher kommen.
ALSO: Jedem Cannabiskonsumenten ist es wichtig, dass die Legalisierung kommt. Also sollten wir uns nicht verstecken.
Wir sollten im Internet, aber auch mit Mama, Papa und Freunden klar kommunizieren, warum uns die Cannabis Legalisierung so wichtig ist.Und da bei diesem Thema die Pro-Argumente eigentlich nie ausgehen sollten, ist es ein leichtes, auch Nichtkonsumenten von den Vorteilen einer Legalisierung zu überzeugen. Sei es in der Landwirtschaft, in der Baubranche, in Ernährungsfragen oder natürlich der medizinischen Anwendung.
ALSO: Ich wünsche mir, dass jeder für seine individuellen Interessen eintritt. Ich wünsche mir, dass jeder die kleinen (Un)freiheiten genau so wahrnimmt wie die großen Ungerechtigkeiten unserer Zeit. Denn: Auch wenn die großen Ungerechtigkeiten schwer drücken – eine „kleine“ Unfreiheit wie das Cannabis Verbot ließe sich mit deutlich kleinerem Aufwand in eine „kleine“ Freiheit umsetzen – hätte aber massive Vorteile für Konsumenten, Polizei, Justiz, …
ALSO: Versteckt euch nicht und bleibt am Ball – Gemeinsam schaffen wir das!