Eigentlich sitze ich gerade an einem Artikel, der mal klären soll, was Langzeit-Konsum mit Dir macht. Dabei habe ich mir des Spaßes halber auch mal den letzten Drogen- und Suchtbericht unserer deutschen Bundesregierung reingezogen. Während ich über die Umschreibungen der Wirkweisen schon mal ganz gut schmunzeln musste, wird mir zwei Seiten weiter regelrecht schlecht. In einem kleinen Absatz steht frech geschrieben:
Volkswirtschaftliche Folgen
Die durch schädlichen Cannabiskonsum verursachten ökonomischen Kosten werden auf 975 Millionen Euro pro Jahr bei 400.000 angenommenen Konsumenten mit schädlichem Konsum (entspricht 2.438 Euro pro Kopf und Jahr) geschätzt (Effertz et al., 2016). Gegebenenfalls fallen weitere Zusatzkosten durch Tabakkonsum an, wenn beides kombiniert konsumiert wird. Schließlich zeigen die Befunde auch signifikant erhöhte immaterielle Folgen wie Erschöpfung, Depression und Schmerzen. Durch die direkte medizinische Behandlung von Cannabiskonsumenten mit schädlichem Konsum wie auch durch deren gesunkene Produktivität entstehen hohe volkswirtschaftliche Verluste.
Krass. Volkswirtschaftliche Schäden? Dabei habe ich letztens erst einen Vortrag bei Prof. Dr. Haucap über die ökonomischen Folgen von Cannabis in Deutschland gehört. Und die Gedankenspiele brachten in Summe einen klaren volkswirtschaftlichen Vorteil von (einer Legalisierung von) Cannabis hervor. Hier könnt ihr ein Interview von ihm mit dem Handelsblatt lesen.
Doch zurück zum Drogenbericht der Regierung. Fast eine Milliarde Euro Schaden soll der illegale Cannabis-Konsum also mindestens anrichten. Woher kommt diese Zahl? Das ist das Erste, was mir im Moment durch den Kopf schießt. Ich starte also folgende Suchanfrage mit den gleichen Worten aus dem Drogenbericht:
Und siehe da: Statt der erwarteten Studie inklusive Begründung dieser wahnwitzigen Zahl, erscheinen als erstes zwei Artikel, die die volkswirtschaftlichen Chancen einer Legalisierung anhand der bis jetzt schon legalisierten Staaten analysieren. Der erste Artikel stammt vom Hanfverband, der zweite vom Deutschlandfunk. Richtig, vom gebührenfinanzierten Deutschlandfunk. Da stellen sich natürlich wieder Fragen: Warum wird im Drogen- und Suchtbericht von einem volkswirtschafltichen Schaden gesprochen, wenn das long-read vom staatlichen Deutschlandfunk eher volkswirtschaftliche Chancen sieht? Hört die Frau Mortler nie den Staatsfunk, sondern chillt lieber mit RTL 2? Wie auch immer, in der Volkswirtschaft kann man sich sowieso alles drehen und wenden, bis es für den eigenen Zweck passt.
Eine Studie mit 198 Befragten reicht der Regierung wohl aus
Weiter also mit der Spurensuche nach der Summe. 2.438 € kostet jeder Konsument jährlich. Dabei muss ich allerdings sagen, dass ich jetzt schon drei Jahre konsumiere und die Gesellschaft noch keinen einzigen Cent gekostet habe. Alleine für meine drei Jahre ohne Schäden für die Volkswirtschaft könnte ich im vierten Jahr für schlappe 7.314€ …. Ja, was eigentlich? Schäden anrichten? Zum Beispiel durch eine kontaminierte und infizierte Haschgift-Spritze? Würde ich womöglich einen Krankenhauseinsatz provozieren? Nein, ausgeschlossen. Cannabis spritzt man sich nicht. Na gut. Im Drogenbericht steht was von gesundheitlichen Schäden, vielleicht verursachen die ja die volkswirtschaftlichen Schäden. Im Drogenbericht wird sich auf eine super repräsentative Studie bezogen (nicht!), bei der immerhin 198 Klienten einer ambulanten Suchthilfe-Station mit dem Primärproblem Cannabis befragt wurden.
Dabei nannte gut die Hälfte der Befragten Probleme in der Schule oder Familie (53,4 % bzw. 52,9 %) und etwa ein Drittel Probleme im Freundeskreis, im Beruf oder in der Partnerschaft. Bei den von den Konsumenten berichteten Nebenwirkungen dominierten zunehmende Vergesslichkeit (70 %), Konzentrationsschwierigkeiten (61,1 %) und die Vernachlässigung früherer Aktivitäten (56,8 %).
Okay. Soweit also dazu. Kann man echt messen, inwiefern Konzentrationsschwierigkeiten für die Volkswirtschaft schädlich sind? Kann man echt sagen, wie viel Geld so und so viel Konzentration Wert ist? Zum Arzt musste ich jedenfalls noch nicht wegen Konzentrationsstörungen. Aber wahrscheinlich ist auch an der Aussage des Drogenberichts was dran, was mich wieder zur Suchanfrage bei Google führt. Kurz vorm Navigationspfeil zu Seite zwei der Suchergebnisse erblicke ich eine interessante Adresse, die zur Studie über Ökonomische und intangible Kosten des Cannabiskonsums in Deutschland aufklären möchte.
Die Studie fasst sich folgendermaßen zusammen:
Einleitung: Um die negativen Auswirkungen des Cannabiskonsums sinnvoll im Rahmen ökonomischer Kosten-Nutzen-Entscheidungen beurteilen und in gesundheitspolitische Entscheidungen einbringen zu können, ist es notwendig, die ursächlich mit dem Konsum in Verbindung stehenden Kosten vollständig zu quantifizieren. Ziel dieses Beitrages ist es, einen Überblick über die medizinisch-ökonomischen Kosten des Cannabiskonsums in Deutschland zu geben.
Methode: Zur Kostenschätzung wurde eine Stichprobe der Techniker Krankenkasse mit 146.000 Versicherten und davon 1.245 Personen mit einer auf schädlichen Cannabiskonsum hinweisenden Diagnose (ICD-10-gm-Code F12) ausgewertet. Mit Hilfe geeigneter statistischer Regressionsmodelle wurden die kausal auf Cannabis zurückführbaren Zusatzkosten im Gesundheitssektor sowie weitere produktivitätsrelevante und intangible Beeinträchtigungen ermittelt.
Ergebnisse: Schädlich Cannabis konsumierende Versicherte verursachen 2.438 € an zusätzlichen Kosten pro Person und Jahr. Insgesamt ergeben sich Kosten in Höhe von 975 Mio. € p.a. Ggf. fallen weitere Zusatzkosten durch Tabakkonsum an, wenn beides kombiniert konsumiert wird. Schließlich zeigen die Befunde auch signifikant erhöhte intangible Einbußen wie Erschöpfung, Depression und Schmerzen. Diskussion: Cannabiskonsum ist mit einer Vielzahl an Risiken und Kosten verbunden, die bei möglichen Veränderungen in der Drogenpolitik sorgfältig bedacht werden müssen.
Da haben wir also unsere Studie mit den Zahlen der Bundesregierung.
Leider suggeriert der Drogenbericht der Bundesregierung, dass diese eine Studie sämtliche volkswirtschaftlichen Belange zum Thema betrachtet. Das bildet die Studie aber nicht ab, denn es wurden lediglich die entstehenden Gesundheitskosten durch Patienten mit schädlichem Cannabis-Konsum untersucht. Leider kann ich die Studie nicht angucken, da ich mir die einfach nicht leisten kann. Deshalb weiß ich auch immer noch nicht, was denn eigentlich schädlicher Cannabis-Konsum ist. Und wie die Bundesregierung darauf kommt, dass es in Deutschland 400.000 Kiffer mit schädlichem Konsum gibt. Sind dabei auch die Zwangstherapierten dabei, die sich im Sinne der Strafminderung lieber in eine staatlich verordnete Therapie begeben, anstatt sich richten zu lassen?
Die Details herauszufinden ist eigentlich auch gar nicht wichtig. Denn egal, ob die Studie wissenschaftlich korrekt oder sehr unvollständig erstellt wurde: Die Bundesregierung hat in dem Fall die Studie einfach als Instrument zur Untermalung ihrer drogenpolitischen Fantasien genutzt und dabei absichtlich schwammig formuliert. Die nötigen Beweise der Zahlen sind nicht transparent. Aber noch viel schlimmer: Bei der Bewertung des volkswirtschaftlichen Schadens durch den schädlichen Konsum wird nur genau ein volkswirtschaftlicher Faktor angeführt.
Denn ich bin mir sehr sicher, dass Cannabis auch jetzt schon volkswirtschaftlich ein Gewinn sein kann.
Zum Beispiel durch Menschen, die sich selbst medizinieren, ohne ein Rezept zu haben. Denn unsere Volkswirtschaft profitiert von gesunden Menschen, die durch Cannabis arbeiten gehen können. Oder nützt ein kranker Mensch, der nicht arbeitet, mehr? Nein. Wenn Du dich jetzt fragst, was diese dünnen Argumente sollen: Die Bundesregierung hat angefangen. Wer Schäden sieht, weil eine Substanz faul mache, der muss sich auch die andere Seite ansehen.
Und das sind alle Vorteile von Cannabis. Ich behaupte jetzt einfach mal, dass es davon ganz viele gibt. Eine Gesellschaft profitiert doch nicht von vielen Waffenexporten und vielen Jobs in der Diesel-Industrie. Eine Gesellschaft profitiert von einem friedlichen Miteinander, dem Gemeinschaftsgefühl und von Menschen, die open-minded sind. Menschen, die nicht vorrangig an sich denken, sondern kreative Lösungen für die Zukunft erdenken. Eine Volkswirtschaft wird auf lange Zeit nicht durch die primitiven und kurzgedachten Ziele unserer Bundesregierung wachsen. Das muss klar sein. Unser Planet ist eine tickende Zeitbombe und wir haben noch 20 Jahre, um den richtigen Zünder zu finden und ihn auch zu entschärfen. Dazu braucht es Mut, Entschlossenheit, kluge Köpfe und motivierte Macher. Was es nicht braucht, sind ewige Prinzipienreiter in den Parlamenten.
Ich bin mir sicher, dass Cannabis große volkswirtschaftliche Chancen hat. Ich selber bin zwar kein ausgewiesener Experte auf dem Gebiet, aber ich höre gerne auf Menschen wie Professor Haucap. Der Direktor des Düsseldorf Institute for Competition Economics und Dekan der Düsseldorfer Fakultät für Wirtschaftswissenschaften an der Heinrich-Heine-Uni ist dann doch recht renommiert.
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hier [Frau Mortler erwägt eine Entkriminalisierung von Cannabis]
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