Wird Deutschland zum zweiten Kalifornien?
Ganz klar: Jein. Denn natürlich wird Deutschland in diesem Jahr nicht an die Westküste der USA umziehen und wahrscheinlich wird in Deutschland auch morgen noch eine Helene Fischer beliebter als ein Marvin Game sein. Das wäre das Nein. Aber in einer anderen Sache wird sich Deutschland definitiv an Kalifornien angleichen: Und zwar wird es in Deutschland dieses Jahr möglich sein, die Grauzonen der deutschen Gesetzgebung zum Thema medizinisches Cannabis auszureizen und so auf legalem Weg Cannabis zu konsumieren. Dabei ändert sich nichts am Gesetz, welches im März 2017 erlassen wurde, sondern am Umgang der Ärzteschaft mit dem Thema. Oder anders: Findige Unternehmer haben einen Markt gesehen, auf dem (viel) Geld zu holen ist, und ergreifen jetzt die Initiative um dieses Geld einzusammeln.
HAPA Medical – Legal Kiffen für die Elite?
In Kalifornien ist Cannabis seit 1996 für therapeutische Zwecke legal. Per Volksentscheid mit einer Mehrheit von 55,6 Prozent wurde die Grundlage für einen sonnigen Cannabis-Umgang geschaffen. Denn wer in den letzten Jahren einmal in Kalifornien war und sich auch für das dortige Cannabis-Angebot begeistert hat, wird schnell festgestellt haben: Auch für augenscheinlich gesunde Menschen war es möglich, an die vielfältigen Cannabis-Produkte in den sogenannten Dispensaries ranzukommen. Dafür genügte ein Besuch bei einem Arzt, der in den meisten Fällen einen Grund sah, ein Cannabis-Rezept auszustellen. Natürlich gegen ein adäquates Entgelt.
In Deutschland bahnt sich im Moment mit Hapa-Medical [Website] ein ähnliches System an. Das Unternehmen schickt sich an, in Deutschland Cannabinoid-Praxen zu eröffnen, um die medizinischen Effekte von Cannabis auch Menschen zu ermöglichen, deren Arzt einer Cannabis-Therapie entgegensteht. Aus einer Stellenanzeige des Unternehmens geht hervor, dass zum 1.3.2018 eine erste Cannabinoid-Praxis in Berlin eröffnen wird. Eine solche Praxis bestehe „in der Regel [aus] einem Arzt und ein bis zwei Assistenzstellen“. Soweit, so gut.
Doch was ist das Motiv von HAPA Medical?
In der Stellenanzeige wird das Selbstverständnis des Unternehmens folgendermaßen beschrieben: „Wir legen hohen Wert auf die bestmögliche Behandlung unserer Patienten und lehnen es strikt ab, Suchtkrankheiten oder BTM-Missbrauch im Namen der Medizin zu fördern“. Doch was ist an dieser Aussage wirklich dran? Ist das eine reine Vorsichtsmaßnahme, um keinen Regress durch Mutter Staat zu befürchten? Denn die Praxis wirbt konkret mit der Phrase „Cannabinoid-Therapie Praxis“. Das klingt für mich nicht nach Facharzt für diese und jene Krankheit, sondern nach „Cannabis-Verordnungs-Praxis“. Also eine Praxis für alle Menschen, deren diagnostizierender (Fach)arzt kein Cannabis verschreibt.
Auf Grund der momentanen Gesetzeslage ist solch eine Praxis auf der einen Seite natürlich ein Segen für viele Patienten. Vor allem natürlich für Privatversicherte oder für Kassenpatienten mit großem Geldbeutel. Auf der anderen Seite wird dieses Praxis-Modell der Akzeptanz von medizinischem Cannabis auch schaden. Denn entgegen der Behauptung in der Stellenanzeige, man wolle keinen BTM-Missbrauch fördern, wird wohl trotzdem jeder mit ausreichend Geld im Portemonnaie ein Rezept bekommen.
Dabei berufe ich mich auf die Aussage des Arztes, der in eben jener Praxis praktizieren wird und auch schon im letzten Jahr Cannabis an Menschen verschrieben hat, die eben nicht das Problem einer ernsthaften Krankheit hatten, gegen die der diagnostizierende Arzt kein Rezept ausstellen wollte. Unser Autor Daniel zum Beispiel hat sich von diesem Arzt ein Cannabis-Rezept ausstellen lassen – und zwar um aus dem illegalen Status herauszukommen und nicht, weil er unter einer Krankheit leidet, gegen die sein Hausarzt kein Cannabis verschreiben möchte.
Seinen Weg könnt ihr hier nachlesen.
Ich möchte an dieser Stelle auf keinen Fall die Arbeit dieses Arztes in ein schlechtes Licht rücken – denn der Mann ist ein Aktivist und möchte lediglich im Rahmen des Gesetzes möglichst vielen Menschen Cannabis (für medizinische Zwecke) zugänglich machen – eine Pflanze, die zu Unrecht verboten ist und auch in der Vorbeugung von Krankheiten helfen kann. Doch die Art und Weise der Praxis finde ich abstoßend, da durch Firmen wie HAPA-Medical eine Zwei-Klassen-Gesellschaft gebildet wird.
Wer als gesetzlich Versicherter von seinem Haus- oder Facharzt kein Cannabisrezept erhält und durch die normalen Herausforderungen des Lebens nicht jeden Monat 250€ für ein Privatrezept abdrücken kann, ist im Moment entweder auf die illegale Selbstmedikation mit möglicherweise verunreinigtem Straßengras angewiesen oder muss auf andere, möglicherweise unwirksamere Medikamente zurückgreifen.
Dem gegenüber steht eine kiffende Elite, die durch Firmen wie HAPA Medical in großem Maße profitiert. Denn einer Cannabis-Medikation steht schließlich nicht viel im Weg, es reichen Rückenschmerzen als Begründung oder Traumata der Kindheit. Und, zu Recht, liegt es in der Verantwortung des behandelnden Arztes, ein Rezept für solche Befunde auszustellen. Aber ist an der Stelle nicht der eigentliche Fehler zu finden? Auf der einen Seite bekommen viele wirklich Betroffene kein Rezept von ihrem Arzt und auf der anderen Seite kann jeder mit genügend Geld legal kiffen?
Es ist noch ein langer Weg zu einem gerechten Cannabis-Deutschland
Das eigentliche Problem liegt natürlich in der Gesetzgebung. Denn wäre Cannabis auch für Genusszwecke legal, hätte eine private Cannabinoid-Praxis kaum noch eine Daseinsberechtigung. Genusskiffer würden in Apotheken oder Social Clubs ihr Cannabis für Geld beziehen oder selbst anbauen und Patienten mit ernsthaften Beschwerden könnten weiterhin ihr Cannabis von der Krankenkasse bezahlen lassen. Denn klar: Patienten wie Rüdiger Klos-Neumann von Sens-Cuisine mit Tagesdosen von 8 Gramm pro Tag* könnten sich ihre Medizin anders gar nicht finanzieren.
Bis zur Legalisierung für Genusszwecke gibt es jedoch noch viele Baustellen, die bearbeitet werden müssen. Vor allem die breite Masse an Kassenärzten muss noch von den positiven Wirkungen von Cannabis überzeugt werden. Die Heilpflanze muss unbedingt das Stigma des Rauschgifts loswerden. Cannabinoid-Praxen auf privater Basis fördern dies jedoch nicht, sondern machen die ganze Sache nur noch unglaubwürdiger.
Noch ein paar Worte zu HAPA Medical: Das Business-Modell von HAPA Medical erschließt sich mir noch nicht in Gänze, dafür habe ich zu wenig Einblicke in die Kostenkalkulation. Aber was sich jetzt schon erkennen lässt: Das Wissensportal CANNAINFO wird von dieser Firma betrieben und auch der Cannabinoid-Ausweis stammt von dem Unternehmen. Darüber hinaus gibt es auch eine Stellenausschreibung von HAPA Medical für eine Stelle als Apotheker/in und laut einem Bericht des WDR bemühe sich die Firma auch um eine Anbau Lizenz. Scheinbar handelt es sich bei HAPA Medical um ein breit angelegtes Unternehmensnetz bestehend aus verschreibenden Arzt-Praxen und eigener Cannabis-Produktion. Inwiefern die Gewächshäuser und Arztpraxen dann in Zukunft nebeneinander existieren oder voneinander profitieren, können wir zu diesem frühen Zeitpunkt noch nicht sagen. Wir behalten HAPA Medical aber auf jeden Fall im Auge.
[Hier] geht es zu Teil Zwei unserer Serie über HAPA-Medical. Hier findest du alle Hintergründe zum Unternehmensnetzwerk um HAPA, welches mittlerweile in der Hand eines Fintech-Unternehmens ist.
*Quelle: in.fused Magazin Nr. 1