Strafverteidiger nehmen die meisten erst in Anspruch, wenn das Kilo Gras ins Klo gefallen ist. Schade. Wir leben in Deutschland in vielen Punkten noch sehr konservativ und rückwärtsgewandt, besonders wenn man sich die aktuelle Drogenpolitik näher anschaut und die damit einhergehenden Strafen. Wir versuchen euch mit unseren Artikeln immer wieder die wichtigsten Basics zu unseren Gesetzen mitzugeben. Denn Aufklärung und Information ist und bleibt King. Daher hat unser Autor Alice (fiktiver Name) ein Interview mit dem Strafverteidiger Patrick Welke [Website] gemacht. Ich wünsche euch von Herzen, dass ihr nie wegen unserer geliebten Pflanze jemals einen Anwalt in Anspruch nehmen müsst. Viel Spaß beim lesen. Peace. [Daniel]
Sind Sie ein Pflichtverteidiger? Gibt es überhaupt in Deutschland Pflichtverteidiger, oder liegt bei den Behörden eine Liste mit Telefonnummern, die sie anrufen und durchfragen, wer grad Zeit hat?
Das Gesetz sieht vor, dass ein Angeklagter in bestimmten Fällen einen Verteidiger haben muss. Zum Beispiel wenn ein Verbrechen vorgeworfen wird, eine Strafe von mehr als einem Jahr droht oder Untersuchungshaft angeordnet wird. Hat der Angeklagte dann keinen Wahlverteidiger, wird er zunächst unter Fristsetzung selbst aufgefordert, einen Pflichtverteidiger zu benennen. Man kann sich also auch seinen Pflichtverteidiger selbst aussuchen. Erst wenn innerhalb der Frist niemand benannt wurde, wählt dann das Gericht selbst einen Anwalt aus. Es kommt dann sehr auf den Richter an, ob auch ein engagierter Verteidiger ausgewählt wird, oder jemand mit dem der Richter gute Erfahrungen gemacht hat und der ihm wenige Probleme in der Verhandlung bereitet. Ich selbst übernehme auch Pflichtverteidigungen.
Ist Sucht eine Krankheit?
Ganz klar handelt es sich bei Sucht um eine Krankheit. Durch eine enge Verbindung zum Drogenverein Mannheim, habe ich viele Erfahrungen mit schwer abhängigen Drogenkonsumenten gemacht. Es ist schon erschreckend zu sehen, wie viele Jahre die Sucht bei vielen das Leben schon dominiert und zum Teil zerstört. Diese Krankheit zu besiegen ist ein langer und schwerer Weg.
Welche Rolle spielen Drogen in unserer Gesellschaft?
Wenn man den Begriff Droge weit fasst und Alkohol, Nikotin und Koffein miteinbezieht, sind die Drogen natürlich in der ganzen Gesellschaft verbreitet. Aber auch wenn man es rein auf verbotene Substanzen bezieht, wird man sehen müssen, dass insbesondere der Konsum von Cannabis weit verbreitet ist und immer mehr Akzeptanz in der Gesellschaft vorhanden ist. In den Umfragen steigt die Anzahl der Menschen, die sich für eine Legalisierung aussprechen.
Wie würden Sie die Meinung „juristischer Fachleute“ zu Drogen & Gesellschaft einschätzen?
Mittlerweile ist auch unter juristischen Fachleuten die Erkenntnis da, dass die bisherige Drogenpolitik mit der Prohibition gescheitert ist. Insbesondere der Schildower Kreis (http://schildower-kreis.de/) leistet hier gute Arbeit und spricht sich ganz klar gegen die Prohibition aus. Auch der Bund Deutscher Kriminalbeamter spricht sich mittlerweile für eine Legalisierung von Cannabis aus.
Ist die Begründung für Drogenverbote stichhaltig? Soll die Schutzpflicht der gesetzgebenden Gesellschaft, oder das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen überwiegen?
Die Begründung für die Drogenverbote ist aus meiner Sicht insbesondere deshalb nicht stichhaltig, da die Verbote gescheitert sind. Trotz der Verbote gibt es zahlreiche Konsumenten und die Verbote haben zahlreiche negative Folgen, wie die Kriminalisierung der Konsumenten. Ich denke man muss dabei aber auch zwischen Cannabis und anderen, härteren Drogen differenzieren. Insbesondere bei Cannabis ist die Ungleichbehandlung gegenüber der gefährlicheren Droge Alkohol ungerechtfertigt.
Sind Drogen schädlich für die Gesellschaft? Tolerierbarer Unsinn? Oder Teil der notwendigen Bedürfnisbefriedigung?
Das ist eine schwierige Frage. Wenn man sich die Anzahl von Verkehrstoten aufgrund von Alkohol oder anderen Drogen im Straßenverkehr anschaut, kann man diese schon als schädlich betrachten. Auch kostet die Behandlung von Suchtkranken viel Geld. Auf der anderen Seite gibt es z.B. auch medizinische Einsatzmöglichkeiten wie bei Cannabis. Und die auflockernde Wirkung von Alkohol ist ja weit geschätzt und verbreitet im gesellschaftlichen Miteinander.
Als Laie komme ich zu dem Schluss, der „Krieg gegen Drogen“ ist auch eskaliert wegen der sehr unterschiedlichen Rechts- und Staatsverständnisse in den USA und Europa. Liege ich da falsch?
Wie steht Deutschland im Vergleich da?
Ob die Eskalation aufgrund der Unterschiede zwischen den USA und Europa entstanden ist, kann ich schwer einschätzen. Insbesondere in den USA ist die Rechtslage aufgrund der unterschiedlichen Gesetzeslage in den jeweiligen Bundesstaaten ja sehr verschieden. Wenn man Cannabis als Beispiel nimmt, sind viele Staaten der USA aber auch europäische Länder, Deutschland hinsichtlich der Legalisierung weit voraus.
Wieso sind Sie auf Facebook aktiv? Nur Werbung oder auch Idealismus und Spaß dabei?
Natürlich nutze ich Facebook auch als Werbeplattform, aber im Vordergrund stehen der Spaß und die Möglichkeit viele Menschen zu erreichen und zu informieren. Gerade im Umgang mit der Polizei herrschen viele falsche Vorstellungen. Leider ist bei manchen immer noch der Gedanke verbreitet, man müsste einer Vorladung als Beschuldigter Folge leisten und es käme nicht gut an, wenn man schweigen würde. Auch hinsichtlich der drohenden Folgen bei bestimmten Mengen an Betäubungsmitten herrscht viel Aufklärungsbedarf.
Was für eine Drogenpolitik würden Sie sich wünschen? Ich selbst etwa befürworte Entkriminalisierung und Eigenanbau/Social Clubs ohne Freigabe für den Markt. Bin mir aber bewusst, dass das wenig realistisch wäre…
Entkriminalisierung würde ich mir für alle, vor allem die „Harten“ Drogen wünschen. Konnte mal über mehrere Monate aus meinem Fenster beobachten, wie positiv sich die erste Heroinausgabestelle in Bonn auf die Patienten auswirkte. Nach anfänglich starken Bedenken konnte man sehen, wie sich der Zustand der Menschen schnell stark verbesserte.
Grundsätzlich befürworte ich auch eine Entkriminalisierung. Ich gehe jedoch davon aus, dass der Staat im Falle einer Legalisierung über die Steuereinnahmen mitverdienen will und gehe daher eher weniger davon aus, dass es zu Eigenanbau in Cannabis Social Clubs kommen wird. Vielmehr ist eine klare Tendenz zu erkennen, dass ein Eigenanbau unbedingt verhindert werden soll. Eine kontrollierte Abgabe mit enger Betreuung von Suchtberatungsstellen usw. wäre auch bei harten Drogen wünschenswert.
Was war Ihr dickster Fisch? Was die unwichtigste Steuergeldverschwendung?
Mein dickster Fisch im Betäubungsmittelbereich war eine Einfuhr von 30 kg Marihuana aus dem Ausland nach Deutschland. Steuergeldverschwendungen gibt es leider extrem viele. Insbesondere ist dabei zu sehen, dass auch bei Ersttätern im Bereich von Kleinstmengen an Cannabis immer eine Strafanzeige geschrieben werden muss, obwohl die Fälle dann von der Staatsanwaltschaft folgenlos eingestellt werden. Interessant war zum Beispiel der Fall eines Mandanten, der zahlreiche kulinarische Experimente betrieb und zum Beispiel Pralinen usw. herstellte. Spannend ist aktuell die Entwicklung mit dem CBD-Hanf aus der Schweiz mit sehr geringem THC-Anteil. Hier konnte ich gerade verhindern, dass ein Mandant in Untersuchungshaft musste, da wir nachweisen konnten, dass das bei ihm aufgefundene Kilogramm Marihuana aufgrund des geringen Wirkstoffgehalts keinen Verbrechenstatbestand erfüllt.
Haben Sie einen Ratschlag für Cannabis-Konsumenten?
Der einfachste Ratschlag ist natürlich „Nicht erwischen lassen“. Aber im Ernst: Keine größeren Mengen mit sich führen oder aufbewahren. Auch wenn der Einkauf größerer Mengen preislich lukrativ sein mag. Die nicht geringe Menge an Cannabis mit 7,5 Gramm reinem THC ist relativ schnell erreicht. Zum Beispiel schon mit 50 Gramm an 15%igem Marihuana. Schon der Besitz davon stellt dann einen Verbrechenstatbestand mit einer Mindeststrafe von einem Jahr dar. Außerdem gilt: Keine Geschäfte über das Handy. Wir haben leider zahlreiche Verfahren, da Handys ausgelesen und darauf Chats über Betäubungsmittelgeschäfte gefunden werden.
Was halten Sie vom Gesetz zu Cannabis als Medizin?
(Mein Bauchgefühl: Uns steht jetzt, analog zu Kalifornien, ein 20jähriger Weg in die Legalisierung bevor)
Grundsätzlich ist das Gesetz natürlich sinnvoll, da Cannabis vielen Patienten helfen kann. Die praktische Umsetzung ist aber katastrophal. Es gibt nur sehr wenige Ärzte, die Cannabis verschreiben wollen. Dazu lehnen die Krankenkassen zahlreiche Anträge ab. Zu allem Überfluss kommt es dann noch zu Versorgungsengpässen bei den Apotheken. Man merkt, dass der Gesetzgeber hier vorschnell gehandelt hat, um weitere Genehmigungen für Eigenanbau zu verhindern.
Wie ist Ihre Einschätzung zur Führerschein-Problematik, im Hinblick auf Patienten und Illegal-Kiffer?
Im Führerschein-Bereich liegt eine ganz große Benachteiligung von Cannabis-Konsumenten gegenüber Alkoholkonsumenten vor. Da der Grenzwert bei Cannabis so niedrig angesetzt ist und der Abbau sehr unterschiedlich verläuft, gibt es Fälle, in denen Konsumenten mehrere Tage nach dem letzten Konsum kontrolliert wurden und über dem Grenzwert lagen. Obwohl eine rauschbedingte Beeinträchtigung der Fahrtauglichkeit in solchen Fällen nicht gegeben ist, ist der Führerschein weg. So etwas gibt es bei Alkohol nicht. Hinsichtlich der Patienten wurde es verpasst, im Rahmen der medizinischen Freigabe auch klare Regeln für den Führerschein zu treffen. Insbesondere gibt es bei den Gutachtern noch keine Beurteilungsrichtlinien für Cannabis-Patienten. Deshalb ist hier vieles noch nicht eindeutig geklärt.
Wie viele Ihrer Mandanten (ungefähr) bekommen auf Grund §35 BtMG eine Haftstrafe erspart, indem sie sich in Therapie begeben?
Das kommt schon häufig vor, lässt sich aber prozentual schwer einschätzen. Es müssen dafür ja zunächst die Voraussetzungen vorliegen, insbesondere muss die Tat aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit gegeben sein. § 35 BtMG wird ja auch nur dann relevant, wenn die Strafe nicht auch so schon zur Bewährung ausgesetzt wird. Aber es gibt viele, die über zwei Jahren Freiheitsstrafe bekommen, was ja dann nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden kann, und dann nach einigen Monaten auf Therapie gehen können.
Wie realistisch stehen die Chancen, dass das Cannabis-Verbot auf Grund §4 GG gekippt werden könnte?
Wenn ich ehrlich bin, sehe ich da derzeit keine Erfolgsaussichten.
Nehmen Richter einen reumütigen Kiffer Ernst? (Ich würde mich nicht im Unrecht sehen.)
Es gibt schon viele, die aufgrund des Strafverfahrens abgeschreckt werden und dann den Konsum einstellen. Insbesondere wenn das dann auch durch negative Screenings nachgewiesen werden kann, nehmen das die Richter natürlich auch ernst.