Nachdem die WHO seit 1954 die strikte Position vertritt, Cannabis sollte in der Behandlung von Krankheiten keine Rolle spielen dürfen – nein, vielmehr mit allen Anstrengungen aus dem Gesundheitsapparat herausgehalten werden – springt sie nun über ihren eigenen Schatten. Die internationale, staatenübergreifende Weltgesundheitsorganisation, welche als einzige Institution die Beurteilung und Kategorisierung von Arzneimitteln für die Single Convention on Narcotic Drugs für die Vereinten Nationen vornimmt, beugt sich damit dem internationalen Druck, der durch immer mehr legalisierende Staaten im freizeitgebräuchlichen und medizinischen Sinn seit 2012 stetig auf die Behörden steigt.
Denn seit 2012 Washington State und Colorado die vollständige Legalisierung von Cannabis und Cannabis-Produkten durchgewunken haben, entstehen immer mehr wissenschaftliche Untersuchungen, Interessensvertretungen und Gemeinschaften rund um Cannabis und dessen legale Anwendung. Auch Deutschland hat sich bereits vor rund zwei Jahren für die Legalisierung von medizinischem Cannabis entschieden, damals entgegen der Empfehlung der WHO. Doch die gelebte Praxis sieht vielerorts eine Verordnung von Cannabis-Medizin nur bei schweren Fällen vor und vor allem bei ausreichenden Ausschöpfens alternativer, etablierter und vor allem laut Arzneimittelbuch geführter Medizin.
Cannabis ist im Moment noch ein Off-Label-Medikament, was sich vor allem in bürokratischen Hürden auf Seiten der Ärzte und ungeliebten Zusatzgebühren beim Bezug der Medikamente in der Apotheke resultiert. Krankenkassen nutzen die schwierige Situation, um chronischen Schmerzpatienten, deren Verdauungstrakte durch Opiate beispielsweise nachhaltig geschädigt wurden, die kostenintensive Behandlung mit Cannabis in Deutschland zu verweigern. Dabei ist Cannabis besonders bei chronischen Krankheiten eine große Hilfe, was aus der physiologischen Wirkweise der Wirkstoffe wie CBD oder THC auf Grund des Endocannabinoid-Systems absolut Sinn ergibt. Leider unterscheiden sich Theorie und Praxis auch bei medizinischem Cannabis stark voneinander.
Die neue Einschätzung der WHO von medizinischem Cannabis ändert alles!
Mit der Neuklassifizierung von Cannabis durch die WHO existiert bald keine internationale Richtlinie mehr, an die sich die einzelnen Mitgliedsstaaten zu Gunsten der Völkerfreundschaft besser halten, als gegen sie zu verstoßen. In Kalifornien bekommt man Cannabis schon seit 20 Jahren bei zahlreichen weichen bis harten Diagnosen verschrieben – einem Bundesstaat, der schon immer einen eigenen Kopf hatte. Im konform bemühten Deutschland gleicht das Cannabis-als-Medizin-Gesetz indes einer Farce, besonders wenn übergeordnete Institutionen wie die Sächsische Ärztekammer ihren Ärzten mit Regress drohen, sollte Cannabis verschrieben werden. Und auch in den unzähligen Krankenhäusern in Deutschland ist es mitunter extrem schwer, an die benötigte Cannabis-Medizin zu gelangen.
Da nun der Druck seitens der internationalen Staatengemeinschaft wegfällt, ist zu erwarten, dass sich auch in Deutschland in Zukunft die Situation für Patienten und Ärzte, wahrscheinlich auch Apotheker, entspannen wird. Denn die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen sind stets bemüht, das gemeinsame Wertekorsett auf nationaler Ebene durchzusetzen – im Fall von Cannabis entscheidet sich jene Staatengemeinschaft nun für einen ersten Schritt in Richtung liberalen Umgang mit Cannabis, indem bei der Cannabis-als-Medizin-Regelung erste Änderungen vorgenommen werden.
Das steht konkret in dem Dokument der WHO, welches sich direkt an den General-Sekretär der Vereinten Nationen richtet
Lange hielt die WHO die Veröffentlichung der Ergebnisse des 41. Treffen des Expertenkommitees zur Drogenabhängigkeit (ECDD) zurück. Das Treffen tagte bereits vom 12.-16. November im WHO-Hauptquartier in Genf, die vor Ort anwesende Presse wurde mit den Ergebnissen zur Neueinstufung von Cannabis jedoch hingehalten. Bis heute. Hier sind die elementaren Ergebnisse bzw. Einstufungsvorschläge der WHO von Cannabis in die „Single Convention on Narcotic Drugs“ der Vereinten Nationen:
- Cannabis und Cannabis-Harz
- Soll aus Kategorie IV, also der gleichen Stufe wie Heroin, entfernt werden
- Dronabinol (Delta-9-Tetrahydrocannabinol)
- Von Stufe II auf Stufe I
- Tetrahydrocannabinol (Isomere von Delta-9-Tetrahydrocannabinol)
- Platzierung auf Stufe I
- Extrakte und Tinkturen
- Von Stufe I zu entfernen
- CBD
- Soll per Fußnote explizit aus der Single Convention on Narcotic Drugs entfernt werden, solange der THC-Gehalt 0,2% nicht übersteigt.
Noch ein paar Bemerkungen zu den „Schedules“ bzw. Einstufungen von Drogen:
Während in den USA, dem Einflussbereich der DEA, die Stufe I die Drogen mit dem meisten Gefahren- und Suchtpotential einschließt und Stufe IV die harmlosesten, kategorisiert die UNO genau anders herum: Die „Single Convention on Narcotic Drugs“, also das Dokument der Vereinten Nationen mit der Aufführung verschiedener Substanzen nach ihrem Grad der Gefährlichkeit, siedelt die gefährlichsten Drogen in Stufe vier an. Noch einmal sei zum besseren Verständnis bemerkt, dass die Vereinten Nationen zwar den Bericht herausgeben, die WHO jedoch die Hoheit bei der Einstufung der Substanzen besitzt. Bis diese Einschätzung in der Single Convention on Narcotic Drugs tatsächlich Früchte trägt, sind noch einige bürokratische Prozesse abzuwickeln – jedoch ist dies nur eine Frage der Zeit, wenn man bedenkt, dass die Weltgesundheitsorganisation die einzig legitimierte Institution zur Einschätzung und Einstufung kontrollierter Stoffe der Vereinten Nationen darstellt.
Für Deutschland und die Welt bedeutet der Schritt immens viel: Endlich fällt der Druck, Cannabis genauso hart zu verfolgen wie Heroin. Die Einstufung ist mehr als ein Hoffnungsschimmer, die Einschätzung ist wissenschaftlich rational begründet und der Anfang eines ganz großen Abenteuers für die gesamte Menschheit. Nun werden Drogen abseits von Alkohol und Tabak langsam aber sicher wieder einen wichtigen Stellenwert in den Gesellschaften dieser Welt einnehmen können. Und mit Blick auf die hunterttausenden Drogentoten bin ich mir sicher, dass Cannabis nur der Anfang ist.