Laut einer amerikanischen Umfrage bevorzugen junge Erwachsene (Generation Z) in den USA eher nach der Arbeit high zu sein als zur Happy Hour zu gehen. Erstmals übertreffe der Konsum von Marihuana den von Alkohol als „Droge“ bei der bevorzugten Wahl. Von diesem Trend berichtet Danil Johnson in seinem Artikel in der Voce New York.
Nachdem ich die Schlagzeile gelesen hatte, wurde ich beim Lesen des Artikels dann doch etwas stutzig: Zum ersten Mal sei die Zahl der Amerikaner, die täglich oder fast jeden Tag Marihuana konsumieren, höher als die Zahl derer, die ebenso häufig Alkohol trinken. Dies würde einen signifikanten kulturellen Wandel markieren, da legalisierter Cannabiskonsum in den Vereinigten Staaten nun mehr Mainstream sei.
Cannabis-Legalisierung: immer mehr Rauchen statt Saufen?
Genauer wird es in diesem von mir übersetzen Absatz erläutert. „Im Jahr 2022 berichteten schätzungsweise 17,7 Millionen Amerikaner, dass sie täglich oder fast täglich Marihuana konsumierten, verglichen mit 14,7 Millionen täglichen oder nahezu täglichen Trinkern, so eine Studie, die in der Zeitschrift Addiction veröffentlicht wurde.“
Leider konnte ich in dem Journal keine solche Studie finden. Aber es gibt diesen Podcast mit Jonathan Caulkins, in dem er folgendes erläutert:
Professor Jonathan Caulkins, ein Forscher für Cannabispolitik an der Carnegie Mellon University, bemerkt: „Gut 40 % der aktuellen Cannabiskonsumenten konsumieren es täglich oder fast täglich, ein Muster, das mehr mit Tabakkonsum als mit dem typischen Alkoholkonsum verbunden ist“. Der Anstieg des täglichen Marihuana Konsums ist auffällig, insbesondere wenn man bedenkt, dass 1992 noch weniger als eine Million Menschen von fast täglichem Cannabiskonsum berichteten.
Selbsterklärende Raucher und Säufer: Stolz gegen Scham.
Zweifellos ist zu erwarten, dass der regelmäßige Konsum von Marihuana mit der Legalisierung deutlich steigt. Dass dieser jedoch heute schon den seit Jahrhunderten etablierten regelmäßigen Alkoholkonsum in unserer westlichen Kultur ablöst, halt ich für höchst unwahrscheinlich. Einen Aspekt würde ich bei dieser „Studie“ hinterfragen wollen. Die Studie stützt sich auf Selbstauskünfte. Und da unterstelle ich mal, dass heute doch nur sehr wenige Menschen freiwillig zugeben, dass sie tagtäglich Alkohol trinken. Jedoch bei der Frage nach dem Marihuana-Konsum aktuell der Stolz die Scham überwiegt. Denn Kiffen ist ja jetzt cool.
Meine Annahme deckt sich im Artikel mit einer weiteren Aussage: Derzeit erlauben 24 US-Bundesstaaten den Freizeitkonsum, während 38 Bundesstaaten zumindest die medizinische Verwendung legalisiert haben. Diese weit verbreitete Akzeptanz hat das mit Cannabis verbundene Stigma reduziert, was zu einer offeneren Berichterstattung über seine Verwendung geführt hat. Dr. Brooke Worster, Chief Medical Officer bei EO Care, erklärte: „Die Leute haben nicht so viel Angst, zuzugeben, dass sie es benutzen.“
Entkriminalisierung auf US-Bundesebene: endlich Schedule 3.
Die Biden-Administration hat kürzlich den Prozess zur Neuklassifizierung von Cannabis von einer Schedule I in eine Schedule III-Substanz eingeleitet. Ein bedeutender Schritt in der amerikanischen Drogenpolitik gegenüber Marihuana, dass nunmehr seit fast 100 Jahren verteufelt wurde. Präsident Joe Biden hob die Bedeutung dieser Reform hervor und erklärte: “ „Viel zu viele Leben wurden durch einen verfehlten Umgang mit Marihuana zerstört.“ Niemand sollte wegen des Konsums oder Besitzes der Droge im Gefängnis sitzen, so der 81-Jährige.
Trotz der wachsenden Akzeptanz und des Konsums von Cannabis warnen US-Experten weiterhin vor den Risiken, die mit intensivem Konsum verbunden sind. Dr. David A. Gorelick, ein Psychiatrie-Professor an der University of Maryland, erklärt, dass ein täglicher Konsum zu höheren Fällen von mentalen Störungen und damit verbundenen Gesundheitsproblemen führen könnte, sogar zu einer höheren Wahrscheinlichkeit von Schizophrenie, insbesondere bei jungen Männern.
Darüber hinaus stellt Dr. Worster fest, dass Cannabiskonsum zwar nicht zu Organschäden wie Alkohol führe, er aber die Lebensqualität einer Person erheblich beeinträchtigen kann. Zu bedenken sei, dass es zu Atemproblemen, erhöhter Herzfrequenz, Probleme mit der Entwicklung des Kindes während und nach der Schwangerschaft sowie zur intensiven Übelkeit und Erbrechen führen kann.
THC-Gehalt seit 1995 von 4% auf 15% gestiegen.
Nicht zuletzt geben die Experten zu bedenken, dass die Potenz von Marihuana im Laufe der Jahre ebenfalls deutlich zugenommen hat. Der durchschnittliche THC-Gehalt sei laut dem Potenzüberwachungsprojekt der University of Mississippi von 4% im Jahr 1995 auf über 15% im Jahr 2021 gestiegen.
Deutet sich wirklich ein kultureller Wandel an?
Da laut den Experten die Generation Z wohl auch weiterhin Marihuana bevorzugt, wird dieser Trend wahrscheinlich breitere kulturelle und gesellschaftliche Normen beeinflussen und den Platz von Cannabis im Alltag weiter festigen. Das mag sein. Und sicher ist hier die USA ein Vorreiter. Dennoch glaube ich weder in den USA noch bei uns in Europa wird Marihuana ernsthaft die Trinkkultur der Gesellschaft verändern.
Kulturgeschichte der Drogen: Alkohol ist dekadenter Westen oder deprimierter Osten.
Die gesamte Kulturgeschichte des Alkohols und dessen Verharmlosung als Droge ist westlich geprägt. Entscheidende Ausnahme ist die Verbreitung im russischen Raum. Bis heute lässt sich dieses Missverhältnis in westlichen Ländern in den unterschiedlichen kulturellen Erziehungsformen der Einwanderungsgruppen wiederfinden. So finden sich in islamisch oder asiatisch sozialisierten Einwanderungsgruppen eine deutlich stärkere Ablehnung des Alkohols als bedenkliche Droge als in den westlich geprägten oder auch den osteuropäischen und russischen Communities. Solange diese kulturhistorische Prägung im westlichen Raum dominant bleibt, bezweifle ich, dass Cannabis irgendwann einmal den gesellschaftlichen Status des Alkoholkonsum im Westen ablösen wird.
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